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Buchrezension

Gerhart Hauptmann: Der Ketzer von Soana

Gerhart Hauptmann hat seinen Der Ketzer von Soana vor und während der Kriegsjahre zwischen 1911 und 1917 geschrieben. Die Novelle spielt sich im italienisch sprechenden Teil der Schweiz ab.

20. Juni 2011

von René Buchfink

Eingebettet in eine mehrfach verschachtelte Erzählweise gibt es die Wandlung des Francesco Vela zu beobachten. Ein Wanderer und Urlauber trifft in den Berghängen auf einen Berghirten. Dieser Berghirte der sonst recht abgeschieden vom Rest der Welt, für sich zu leben scheint, bittet den Urlauber freundlich in sein Haus und liest ihm aus seinen Aufzeichnungen vor.

Die vorgetragenen Aufzeichnungen bildet die Kernhandlung der Novelle ab. Die selbstverfasste Geschichte handelt von einem katholischen, frommen, jungen Priester, der seine erste Pfarrstelle in dem Ort Soana antritt. Ein Ärgernis in der ansonsten gewöhnlichen Ortschaft ist die Familie Scarabota, die von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen ist, weil sie der Unzüchtigkeit und der Inzest beschuldigt wird. Jung und engagiert will der Prister Francesco die Familie in den Segen der römisch-katholischen Kirche zuführen. Dabei trifft Francesco die älteste Tochter der verfemten Familie und sein Herz fängt an zu pochen. Sowieso scheint mit dem Aufstieg auf die Alm der Natursinn des im Zölibat verankerten geistlichen geweckt zu werden. Der sonst im Studierzimmer beheimatete junge Priester erfährt zum ersten mal ein gewisses Frühlingserwachen, im zweifachen Sinne. Zum einen die Natur selber und zum zweiten das erwachen des eigenen Eros beim erblicken der mystisch, liebreizenden etwa fünfzehnjährigen Tochter. Francesco selber ist gut zehn Jahre älter. Die Entwicklung des jungen Priester, man ahnt es schon, ist nicht mehr aufzuhalten. Hauptmann zeigt die inneren Kämpfe die Francesco auf – mit Präzision und Nachhaltigkeit.

Der Ketzer von Soana spaltet die Fachwelt, einige bezichtigen Gerhart Hauptmann gar der Unterstützung des pädophilen, was ich persönlich nicht nicht finde. Was aber man Gerhart Hauptmann sicherlich vorwerfen kann ist eine, ausgeprägte Kirchenkritik, wobei Kirchenkritik nur ein Teil von einer Handvoll Themen sind, die nebeneinander stehen. Die geschriebene Sprache ist gut und flüssig zu lesen. Gerhart Hauptmann verzichtet auf unnötige Dopplungen, nur hin und wieder trifft man auf Wiederholungen, die aber meines Erachtens ein Leitmotiv darstellen.

Fazit:
Eine wunderschön durchdachte Novelle, die einiges an Tiefsinn aufzubieten hat. Zwischen altgriechischer Mythologie, Nietzsches Geburt einer Tragödie, naturalistischen Ansätzen mäandert Der Ketzer von Soana. Es lohnt sich diese fast vergessene Novelle zu lesen.

Fakten: Bild: Der Ketzer von Soana
Illustration: Meid, Hans. – Hauptmann, Gerhart. Der Ketzer von Soana.
Autor: Gerhart Hauptmann
Titel: Der Ketzer von Soana
Verlag: vorliegende Fassung Ullstein-Verlag
VÖ-Jahr: 2009
EA-Jahr: 1918