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Buchrezension

Stanislaw Lem: Gast im Weltraum

Im 32. Jahrhundert starten 227 Wissenschaftler zu der bislang größten Expedition der Menschheit. An Board der Gea fliegen sie viele Lichtjahre weit weg von der Erde und machen sich auf den Weg zu den nächsten Sternen in unserer Galaxie.

10. August 2012

von René Buchfink

Aus einer Konsequenten Ich-Perspektive wird die Erzählung und die Abenteuer der Reise, die die Kosmosfahrer auf der Gea erleben, als Rückblende dargestellt. Wir lernen den Helden der Geschichte als Kind kennen und sehen ihn in einer utopischen, friedlichen Welt aufwachsen. Der Junge wächst zwischen alten Raketen vergangener Jahrhunderte auf, die ihn ein uralter Mann näher bringt. Stanislaw Lem zeichnet eine überwiegend akademische Welt ab, in der polytechnische Bildung üblich ist. Nationale Grenzen gibt es nicht mehr und durch fortschrittliche Raketentechnologie ist man flugs binnen weniger Minuten an jedem Ort der Welt. Selbst das Klima und das Wetter hat man sich Untertan gemacht, so das man am Polarkreis oder auf Island kurzärmelig herumlaufen kann.

Die Gea ist ein etwa ein Kilometer langes Raumschiff, und wurde speziell für diese intergalaktische Expedition gebaut. Besonders eindrucksvoll sind die Videoplastiken, (vergleichbar mit den Holodecks) die den Raumfahrern das Gefühl der echten Erde vermitteln soll, und die Effekte des Heimwehs reduzieren sollen. Diese psychologischen Aspekte sind es, auf das Lem in seinem Roman mehr Wert legt als auf technische Details.

Die Reise hin zum Doppelsternsystem dauert etwa zehn Jahre. Menschen verlieben sich und Kinder werden geboren die das blau des Himmels am Horizont noch nie gesehen haben. Diese Kluft zwischen den Erdgeborenen und den Sternenkindern ist ein Thema das sich Lem nähert. Depressionen und Handlungen der Crew die den Wahnsinn tangieren, stellt er dar, aber immer siegt die Vernunft in Gast im Weltraum. Dies alles hat eine deutlich erkennbare Rot-Färbung im politischen Sinne. Obwohl alle Charaktere absolut unpolitisch sind, beschreibt Lem eine postsozialistische Gesellschaftsstruktur. Sie deutet in ideologischer Hinsicht auf einen Sieg des Kommunismus über den „imperialistischen“ Westen hin. Besonders das Weltraumfrack der United States Interstellar Force bildet einen evidenten Gegenpol, mit ihren Atombomben, zum rein wissenschaftlichen und friedlichen Unterfangen der Gea.

Das interessante an diesen Roman ist, dass es wahrlich utopische Literatur ist. Viele technischen Details erscheinen aus heutiger Perspektive abstrus oder abstrakt, vieles davon sogar als technisch veraltet. Die evolutionären Fortschritte der Menschheit, wie eine wesentlich erhöhte Lebenserwartung und intellektuelle Fähigkeiten, werden gleichfalls dargestellt. Gast im Weltraum ist ein klassischer Sciencefiction Roman der 1950er Jahre und wird auch immer ein Kind seiner Zeit bleiben und ist wegen seiner unverfälschten Art und Weise sehr empfehlenswert.

Der Roman Solaris entspringt ebenfalls Lems Feder und ist vielen durch zahlreiche Verfilmungen bekannt.

Fakten:
Buchcover Gast im Weltraum
Buchcover: Gast im Weltraum
Autor: Stanislaw Lem
Titel: Obłok Magellana (dt. Gast im Weltraum, 1956)
Seiten: 322
Verlag: Volk & Welt - Berlin
VÖ-Jahr: 1983
EA-Jahr: 1955