Denklatenz

Das Magazin

Die Autobiografie des berühmtesten Whistleblowers der Welt.

Edward J. Snowden: Permanent Record

Von einem der auszog um seinem Land zu dienen, dabei die dunkle Seite der Macht kennenlernte und mit seinen Veröffentlichungen großen Mut bewiesen und damit der Menschheit einen großen Dienst erwiesen hat.

30. Januar 2020

von René Buchfink

snowdenbuch collage
Bild: "Snowden" von Denklatenz unter CC BY-SA 4.0

Herkunft

Kleine Kinder wollen nicht gerne ins Bett, wenn im Wohnzimmer der gemütliche Teil des Abends beginnt. Edward Joseph Snowden wurde am 21. Juni 1983 in North Carolina geboren und durfte bis zu seinem sechsten Geburtstag nie solange wach bleiben um am längsten Tag des Jahres, der Sommersonnenwende, den Sonnenuntergang sehen zu können, sondern wurde immer frühzeitig ins Bett geschickt. Snowden nennt es seinen ersten Hack, in dem er zu seinem 6. Geburtstag, alle Uhren im Haus umstellt um länger aufbleiben zu können. Eine „direkte Aktion“ und erstes aufbegehren gegen Autoritäten, so Snowden.

Die vierköpfige Familie wohnte in Elizabeth City ein Küstenstädtchen mit knapp zwanzigtausend Einwohner. Sein Vater ist leitender Ingenieur bei der Küstenwache, seine Mutter arbeitet bei der NSA. Über die ältere Schwester schreibt er nicht viel. Ein großer Umbruch für den jungen Snowden war der Umzug von North Carolina nach Crafton im Anne Arundel County im Bundestaat Maryland, wo der Name Snowden bereits bekannt war. In seinem Buch erzählt er von der Herkunft seiner Familie, der Etymologie seines Familiennamen, der sich laut Snowden zwar nicht Heldenhaft von „Snaw Dun“ , oder „Snow Mound (Schneehügel)“ ableitet sondern wohl eher vom Schottischen Castle Snowdon. Bis hin zur Mayflower, dem berühmten ersten Siedlerschiff, lässt sich die Geschichte seiner Familien zurück verfolgen, führt Snowden aus. Von den Länderreinen die einst der Familie mütterlicherseits gehörten und den Verwebungen die seine Familie mit den Vereinigten Staaten von Amerika hat schreibt er in seinem Buch.

Interessanter als in den USA gern betriebene Ahnenforschung werden die ersten Nintendos und Spielkonsolen für den jungen Ed. Den ersten PC, es war ein Compaq Presario 425 muss er sich mit der Familie teilen. Internet gibt es, über Modem. Entweder Telefonieren oder im Internet surfen, so war es in den 1990er Jahren. Deswegen gab dauernd Streit zwischen ihm und seiner älteren Schwester. Da war 12 Jahre alt. Der Freiraum des Web 1.0 prägte ihn. Er lernte schnell den Umgang mit Mailboxen u.ä. und war fasziniert von den Umgang miteinander.

Das Internet war noch nicht der größten Schandtat des Digitalzeitalters zum Opfer gefallen: den Bemühungen von Regierungen und Unternehmen, die Online-Identitäten eines Nutzer so eng wie möglich an seine tatsächliche Offline-Identität zu koppeln. Kinder konnten online gehen und an einem Tag die dümmsten Dinge sagen, ohne dass man sie dafür am nächsten verantwortlich machte. (S 65)

Das Anarchistische und der unkommerzielle Grundtenor der Netzgemeinde fand er gut. In dem Kapitel Hacken beschreibt er, das es nicht nur um das modifizieren bestehender Systeme geht, sondern eben auch um das verstehen des vorliegenden Systems. Das erkennen wollen von systemischen Strukturen, ist ihm Leitmotiv im Leben geworden. Die Schule, so seine Ausführung, bestand er dadurch, das er Verstand wie das Bewertungssystem funktioniere, wie das strukturelle Muster aussieht und überlegte wie er es am effektivsten Hacken könne, so das er die nötigen Prüfungen mit dem geringsten Zeitaufwand erledigen konnte.

In seiner Freizeit hackte Edward als Skripptkiddy n00b in Computersystemen herum, wobei es ihm und seinen anarchistisch geprägten Hackernfreunden immer um das entdecken technischer Möglichkeiten und deren Grenzen ging, nie um das leerräumen von Bankkonten.

In Crafton arbeiten alle auf die ein oder andere Art und Weise für die Regierung. Ein Ort voller Bundesbeamter. Die meisten davon waren Teil der Intelligence Community und bei einen der vielen Nachrichten- und Geheimdienste der USA angestellt. Es war normal für die CIA, das FBI, das Militär oder der Küstenwache zu arbeiten. In Fort Meade, dem Hauptquartier der NSA, ging er nach belieben ein und aus. In seinem 1992er Honda Civic wurde er damals zumindest, nicht Kontrolliert. In seinen Teenagerjahren trennten sich die Eltern. Er machten seinen Schulabschluss, und fing an als Freelancer an, Webseiten zu betreuen.

11. September 2001

Die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York, in Boston und auf das Pentagon versetzen das Land emotional und politisch in einen Ausnahmezustand. Von Heute auf Morgen änderte sich die Stimmung im Land. Für für Snowden, der sich als Patriot und Amerikaner sah, stellte sich nun die Frage; Was kann ich tun? Der Eintritt in die Armee erschien ihm die folgerichtige Antwort. Dort zeichnetet sich ab das er vermutlich die Ausbildung als "Special Forces Sergant für Kommunikation, Technik oder Geheimdienst abschließen" werde. Er war 18 Jahre alt. Zuerst musste er zur jedoch zur Grundausbildung in Fort Benning, in Gorgia, wo er den Spitznamen "Snowflake" auf Grund seiner hageren Statur mit seinen 56 Kg auf 1,74 m bekam. Ein doppelter Beinbruch kam seiner heldenhafter Vorstellung dazwischen, die Entlassung aus Administrative Separation ersparte ihm im Kartoffelschälkommando zu versauern.

Das System

War against Terror (Krieg gegen den Terror) wurde seit dem zum Leitmotiv der amerikanischen Politik. Dazu wurden zahlreiche Gesetze vom US Kongress verabschiedet unter anderem der „USA PATRIOT Act“ und sein Nachfolger dem „USA FREEDOM Act“. Diese Bestimmungen führten zu einer Umwälzung im Geheimdienstsektor der USA, wurden doch den Geheimdiensten völliges versagen im Bezug auf den „11. September“ zugesprochen.

Nach einigen Informatikkursen am Anne Arundel Community College fing Snowden an als Homo contractus bei der C.I.A. zu arbeiten. Später begann er eine Ausbildung im Geheimdienst als TISO. TISO ist ein Akronym für Technical Informations System Officers.

Ein TISO wird zum Allrounder ausgebildet und ersetzt in einer Person die spezialisierten Funktionen früherer Generationen, wie Codeschreiber, Funker, Elektriker und Mechaniker, Berater für physische und und digitale Sicherheit und Computertechniker. (S. 178)

In dieser Rolle wurde er zuerst nach Genf versetzt, wo unter anderen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen ihren Sitz haben. Später folgten u.a. Tokio und Hawaii. Als Geheimdienstler nahm er an zahlreichen internationalen Konferenzen teil und gewann so Einblick in andere Abteilungen und Behörden. Während der gesamten Zeit bei den Geheimdiensten hielt er vor Geheimdienstkollegen, auf internationalen Konferenzen, Vorträge und gab Schulungen.

Mitarbeiter

Zwar ist die Selbstdarstellung seiner Kindheit und Jugendjahre nicht unerheblich wichtig für seinen Werdegang, aber die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand ‚Geheimdienste’ ist vielfach interessanter. Seine „Geschichte“ scheint sich damit auch von einer etwas blumigen Verklärung hin zu professioneller Betrachtung zu ändern. Vielleicht ist es auch dem Umstand geschuldet das einige Personen aus seinem privaten Umfeld darum gebeten haben nicht in seinen Memoiren aufzutauchen. Jedenfalls sind es nicht die technologischen Details die spannend wären, davon gibt zwar auch einiges, spannender sind die Blicke auf die anderen Mitarbeiter, seine ehemaligen Kollegen, auf das System aus Vorgesetzten und Untergebenen. Darüber hinaus Schildert er wie stark die Umwälzungen innerhalb der Geheimdienste nach dem 11. September waren, u.a. als George Tenet 2004 hinausgedrängt wurde, verschwand mit ihm auch die fünfzigjährige Vormachtstellung der CIA gegenüber allen anderen Behörden. Oder wenn er von den Grovvies spricht, Helpdeskmitarbeiter, die Telefonsupport machten wenn jemand im „Feld“ ein technisches Problem hat. Sie führten ihre Auswendig gelernten Checklisten durch ohne zu wissen was eigentlich das Problem ist. „Können Sie sich ausloggen und wieder einloggen?“ „Ist das Netzwerkkabel eingesteckt?“ so was eben. Snowden Beschreibt eine Art Strickjackenmentaliät die überall in den vielen Abteilungen der Geheimdienste anzutreffen ist, egal ob CIA, NSA oder eine der vielen anderen Geheimdienste der USA.

Whistleblowhing

Bild: "XKeyscore presentation from 2008.pdf" unter CC PublicDomain

Die Entscheidung die geheimen Vorgänge öffentlich zu machen, war von Snowden keine spontane Idee, sondern stand am Ende eines Erkenntnisprozess. Die Auslöser waren das immer stärker auseinanderklaffen zwischen dem juristisch Erlaubten und dem was die Geheimdienste tatsächlich taten. Das unter dem „USA PATRIOT Act“ und sein Nachfolger dem „USA FREEDOM Act“ nicht-US-Bürger dem Freischuß freigegeben worden sind ist eine Sache, das aber US-Bürger von ihrem eigenen Staat widerrechtlich ausgespäht werden, ließ Snowden immer mehr an seinem Tun zweifeln. Vor allem die Folgen auf die Gesellschaft, wie das untergraben der Privatssphähre bedrückte ihn. Die Wirkmächtigkeit der Überwachung kannte er, vor allem mit Xkeyscore, eine Suchmaschiene für Geheimdienst, kannte er. Nichts und niemand bleibt außen vor, nicht mal der Präsident der USA.

Als am 1. Mai 2011 die Tötung von Osama bin Laden bekannt gegeben wurde, und nach Zehn Jahren Krieg gegen den Terror hofft Snowden das der permanente Erregungszustand der Geheimdienste herunter gefahren würde. Aber,

Nach einem Jahrzehnt der Massenüberwachung hatte sich die Technik als starke Waffe erwiesen – jedoch weniger gegen den Terror als vielmehr gegen die Freiheit selbst. Indem Amerika diese Programme, diese Lügen aufrecht erhielt, wurde wenig geschützt, nichts gewonnen und viel verloren – bis die Unterschiede zwischen den beiden Polen, die 9/11 geschaffen hatte, zwischen „uns“ und „ihnen“, immer mehr verschwammen. (S. 260)

Der Kipppunkt den Snowden zum Whistleblower werden lies war die Lüge des Nationalen Geheimdienstdirektor James Clapper vor dem Kongress, der auf die Frage ob die Geheimdienste irgendwelche Daten von Millionen oder hunderte Millionen Amerikanern sammelt, mit Nein, Sir […] Es gibt Fälle, in denen sie vielleicht unabsichtlich gesammelt werden, aber nicht wissentlich.“(S.293). Damit verlor Snowden gänzlich das Vertrauen, an regulierende Mechanismen innerhalb des Rechtssystem, wenn selbst die obersten Geheimdienstleute Kongressmitglieder und Verfassungsorgane anlügen. Der Versuch intern auf den Missstand hinzuweisen wäre ohne Aussicht auf Erfolg geblieben. So entschied er sich zum Whistleblower zu werden.

Snowden stand vor zwei großen Herausforderungen. Wie sollte er die Informationen zum einen unauffällig sammeln und herausschaffen und zum anderen welche Wege muss er bestreiten um nicht das selbe Schicksal wie Chelsea Manning oder Julian Assange zu erleiden? Bei ersterer Fragestellung nutzte Snowden eine Art RSS-Aggregator (HEARTBEAT), bei zweitens Entschied er sich statt Anonym an Wikileaks, die Infos an ausgesuchte Journalisten weiterzugeben. Durch die Zusammenarbeit mit den Journalisten wollte er vermeiden das Personen gefährdet werden. In Permanent Record geht er nochmal deutlich darauf ein wie schwer es war mit Glenn Greenwals in verschlüsselten Kontakt zu treten. In Hong-Kong Anfang Juni 2013 war das erste Aufeinandertreffen mit den Journalisten u.a. Glenn Greenwald. Die Vorankündigungen des Guardians ließen auf Großes schließen. Die Veröffentlichungen einzelner Aspekte und Projekt der Geheimdienste, übertraf in ihrer Menge und Qualität alles bisher da gewesene.

Rezeption

Die Motivation diese Autobiografie zu schreiben kommt aus den politischen Entwicklungen der vergangen Jahre. Wahrheit und Rechtsstaatlichkeit, werden durch zahlreiche Regierungen konterkariert, insbesondere auf Donald Trump, zielt Snowden ab, wenn er die politische Kultur kritisiert und seinen ausgeprägten Hang zu Fake News. Snowden sah sich genötigt seine Beweggründe die ihn zum Whistleblower werden ließen in voller breite darzulegen und insbesondere die US Bürger und Politiker an die Verfassten Bürgerrechte und die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit zu erinnern und das er genau für diese Prinzipien sein altes Leben in Hawaii zurück lies.

Zum erscheinen des Buches, wird dem 36ig-Jährigen von rechter Seite vorgeworfen, das er sich seit 2013 in Russland aufhält und sich nicht der Anklage stellt die gegen ihn vorliegt. Snowden hält sich nicht ganz freiwillig in Russland auf, denn die USA haben während des Fluges von Hongkong nach Ecuador über Moskau seinen Pass für ungültig erklärt und ihm Staatsbürgerschaft gekündigt. Seit dem sitzt er in Russland fest.

The Obama administration has now adopted the strategy of using citizenship as a weapon. Although I am convicted of nothing, it has unilaterally revoked my passport, leaving me a stateless person. Without any judicial order, the administration now seeks to stop me exercising a basic right. A right that belongs to everybody. The right to seek asylum.
Quelle: https://wikileaks.org/Statement-from-Edward-Snowden-in.html?snow

Chelsea Manning eine Whistlebowerin die Kriegsverbrechen der USA an Wikileaks und Julian Assange weitergab. Ola Binie (Ola Martin Gustafsson) der für das Digital Autonomy Center in Ecuador arbeitet und Unterstützer von Wikileaks ist, Jeremy Hammond der als Hacker politische Informationen an Wikileaks weitergab, alle hier genannten wurden von den USA International verfolgt und befinden sich derzeit in Gefangenschaft. In genau in diesen Kontext muss man auch den Fall Snowden betrachten. Es ist leicht verständlich warum er sein Heimatland verlassen musste und anderswo um Asyl bittet. Russland gewährt ihm ein befristeten Aufenthalt. Ein Drahtseilakt für alle Beteiligten. Ende Januar 2020 läuft für ihn die bereits mehrfach verlängerte Aufenthaltserlaubnis ab. Was passiert ist nicht abzusehen.

Die größte Überraschung bei Permanent Record ist der flüssige Schreibstiel Snowdens. Seine Autobiografie ist literarisch gut geschrieben, mit leichten Biss und nicht wenigen selbstironischen Tönen. An den entscheidenden Stellen im Bezug auf Überwachungsmonster aber deutlich und genau. Spektakuläre Enthüllungen erfährt man nicht. Alle Daten und Informationen hat er an Journalisten weitergeben und selbst keine Kopie behalten. Was man aber durch seine Autobiografie erfährt sind die Einstellungen der Mitarbeiter, wie simpel die meisten Mitglieder der Intelligence Community gestrickt sind und wie sich das System „Geheimdienst“ nach dem 9/11 verselbstständigt hat. Snowden ist sicher keine Snowflake (Scheeflocke), sondern ist sicher einer der größten Whistleblower der Zeitgeschichte. Mit seiner Autobiografie versucht er seine moralische Integrität zu unterstreichen die ihm von Geheimdienstkreisen und der US-Administration regelmäßig abgesprochen wird.

Catrin Stövesand im Gespräch mit Deutschlandfunk stört sich an der telelogischen Narration, die Snowden hier präsentiert. Die Unausweichlichkeit seines Werdegangs zum weiteren die für deutsche Verhältnisse sehr befremdliche Familienerzählung von der Mayflower bis ins 21. Jahrhundert. Vera Linß in ihrer Buchbesprechnung vom 17.09.2019 beim Deutschlandfunk-Kultur dagegen stellt seine Demokratietreue und sein kritische Hinterfragen von Autoritäten in den Vordergrund. Wer mehr von den technischen Details wissen will sollte die Publikationen des Guardians, The Intercept lesen, oder das Buch von Glenn Greenwald Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen (2014) oder von Constanze Kurz und Frank Rieger Cyberwar: Die Gefahr aus dem Netz. Wer uns bedroht und wie wir uns wehren können (2014) lesen.

Permanent Record ist in vier inhaltliche Teile aufgeteilt, frei beschrieben, in Herkunft, das System, Whistleblowing und zum Schluss sind viele Tagebucheinträge seiner Freundin Lindsay zu finden womit man einen weitere Perspektive auf ihn erhält.

Fazit:
Muss man gelesen haben.

Text auf Mastodon teilen:
Instance:
Fakten: Buchcover Edward Snowdens Titelgesicht mit seiner Brille
Bild: Buchcover, Permanent Record
Autor: Edward Joseph Snowden
Titel: Permanent Record
Seiten: 428
Verlag: S. Fischerverlag
VÖ-Jahr: 2019