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Buchrezension

Psychopolitik – Neoliberalismus und die neuen Machttechniken

Byung Chul Han setzt sich mit seinem aktuellen Werk Psychopolitik intensiv mit den Eigenschaften und Erscheinungsformen des Neoliberalismus auseinander.

03. März 2015

von René Buchfink

In den ersten Kapiteln des Buches Psychopolitik mit dem Untertitel Neoliberalismus und die neuen Machttechniken, stellt Han die Machtechniken dar, die wir bisher als Techniken der Machtausübung und des Machterhalts wahrgenommen haben. Dabei zieht er vor allem die Philosophie von Karl Marx heran. Han nutzt die Erkenntnisse von Marx um die Wirkmechanismen des Kapitalismus darzustellen.

Die Anfänge der Biopolitik sieht Byung Chul Han sowie Michel Foucault im 17. Jahrhundert, als der Absolutheitsanspruch von Kirchen und Königen langsam erste Risse bekommen hat. Die Machthaber nutzen nun nicht mehr die Angst der Menschen vor dem Höllenfeuer als Unterwerfungsinstrument, sondern kreieren eine neue Machttechnik. Han sieht diese neue Machttechnik in der Disziplinargesellschaft manifestiert und nennt es Biopolitik.

Die Disziplinargesellschaft greift über das Körperliche hinaus auch in das mentale ein. Das englische Wort „industry“ bedeutet ja auch Fleiß. „Industrial School“ heißt Besserungsanstalt. … Die Disziplinarmacht entdeckt die „Bevölkerung“ als Produkt und Reproduktionsmasse die es sorgfältig zu verwalten gilt. Ihr widmet sich die Biopolitik.

Neoliberalismus und Psychopolitik

Der Neoliberalismus so Han ist ein Zweig des Kapitalismus. Der Kapitalismus wie Marx ihn beschrieb ist an das Materielle gebunden, an das quantifizierbare. Außerdem braucht der klassische Kapitalismus immer einen Gegenspieler. Es gibt klare Pole. Auf der einen Seite der Ausbeuter, auf der anderen Seite den Ausgebeuteten.

Wesentlich effizienter ist die Machttechnik, die dafür sorgt, dass sich Menschen von sich aus dem Herrschaftszusammenhang unterordnen. Sie will aktivieren, motivieren, optimieren und nicht hemmen oder unterdrücken. Ihre besondere Effizienz rührt daher, dass sie nicht durch Verbot und Entzug sondern durch Gefallen und Erfüllen wirkt. Statt Menschen gefügig zu machen, versucht sie, sie abhängig zu machen.

Die Machttechnik die im Neoliberalismus zur Anwendung kommt ist nicht mehr strafend, sondern wenn überhaupt dann selbstrafend und mündet in Depression, nicht Repression. Der äußere Gegenspieler wird zunehmend imaginär und beinahe transzendent. Damit wird jede Form des offensichtlichen Widerstand gegen das System, Rebellion, unmöglich, weil sich der Gegner unsichtbar macht. Weiter spricht Han davon das es im Neoliberalismus keine Freie Wahl mehr gibt sondern nur noch eine Auswahl die uns als Freie Wahl suggeriert wird.

Dataismus

Mit besonders negativer Rezeption bezieht Han Stellung zu Big Data. Er vergleicht die kulturellen Einflüsse die die Endeckung der statistischen Methode im 18. Jahrhundert auf die Intellektuellen hatte, und das Phänomen Big Data in unser heutigen Zeit. Beide Kulturtechniken kommen mit dem Versprechen daher einen allgemeingültiges verifizierbares und qualitatives Urteil über etwas abzugeben. Han wiederum beweißt in Psychopolitik warum Big Data ersten nur heiße Luft ist und zweitens völlig ungeeignet ist die Welt, menschliche Phänomene, Eigenschaften und Ereignisse zu beschreiben.

Big Data lässt den Geist ganz verkümmern. Die rein datengetriebe Geisteswissenschaft ist eigentlich keine Geisteswissenschaft mehr. Das totale Daten-Wissen ist ein absolutes Unwissen am Nullpunkt des Geistes.

Han setzt sich kritisch mit den verschiedenen Positionen anderer Intellektueller auseinander unter anderen mit Naomi Klein. Er kritisiert bei den meisten, dass sie in ihrem Kritiken die neuen Machtmechanismen des Neoliberalen nicht mit einbeziehen.

Ein besonders erfrischendes Kapitel erscheint gegen Ende des etwas mehr als 100 Seiten dicken Buches, wo es um Idiotismus geht. Fast schon eine Hommage an den Idioten, der den Mut zur Abweichung von der Norm und Orthodoxie hat. Han stilisiert den blöden, debilen zur einer Figur die dem Herrschaftsinstrument Psychopolitik ganz natürlich immun ist und widersteht.

Zusammenfassung: Psychopolitik ist ein kleines, scharfes Buch das mit härte gegen den Kapitalismus und der Spielart des Neoliberalismus ankämpft. Dabei bleibt Han sich selbst treu in dem er wie in seinen früheren Schriften – seine Theorie darlegt, seine Argumente die die Theorie untermauern sollen offeriert und mit einem Beispiel ergänzt. Eine humanistische Kapitalismuskritik die ganz dicht am Sein ist.

Fakten:
Buchcover
Autor: Byng Chul Han
Titel: Psychopolitik
Seiten: 123
Verlag: S. Fischerverlag
Vö-Jahr: 2014