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Buchrezension

Steinbart: Seltenheim

Der Roman wurde 2013 erstveröffentlicht. 2014 erschien die zweite Auflage. Veröffentlicht wurde der Roman im Selbstvertrieb mit den Worten: Kein Verlag, Kein Vertrieb, Keine Hand, die ich nicht schütteln will.

04. Dezember 2014

von René Buchfink

Erzählt wird dich Geschichte von Seltenheim. Ein schlackser junger Mann Anfang, Mitte zwanzig, der in einer Metropole sein Lebensunterhalt als Fotograf zu verdienen versucht. Der enorme Konkurrenzkampf unter den Agenturfotografen bringt Seltenheim an den Rand seiner Kräfte. Der Drogenkonsum, der zu seiner Lebenswelt dazugehört, lässt ihn permanent aus den Latschen kippen. Sex, Drugs und Rock‘n Roll bei prekärer Beschäftigung und Wohnsituation lassen Seltenheim in einer völlig reizüberfluteten Welt körperlich und geistig schwanken. Realität, Rausch und drogenindizierte Paranoia vermischen sich. Gar die Frau seiner Begierde „Goldkleid“ stellt sich später als Prostituierte raus. Seltenheim verliert seinen Fotografenjob. Durch einen glücklichen Umstand bekommt er ein Vorsprechen beim „Doktor“, der ihm einen neuen Job als „Wickler“ offeriert. In der Pornobranche. Er soll den jungen Frauen bei der Erfüllung ihres „Mädchentraums“ nachhelfen.

Sie sind Wickler. Ihr Job ist es, mit den Mädchen zu kommunizieren und sie für unsere Sache zu begeistern.

Nach einer kurzen Einweisung in die Gepflogenheiten des industrialisierten Pornobusiness und einer kurzen Schulung im Kamera- und Screensetting wird es schnell ernst. Seltenheims erste Tour im Liner. Kein Wohnmobil sondern ein Outdoorgefährt mit multifunktionalem Kofferaufbau, mit dem es hinaus in den Wald geht. Mit Maschine, einen altgedienten Pornodarsteller um die vierzig, fährt er raus aus der Stadt. Nach der Grenzkontrolle liegt eine menschenleere und apokalyptische, eiskalte, schneebedeckte Landschaft vor ihnen. Richtung Nord-Nord-Ost. Mannshohe Schneewehen, kaputte Straßen und Elche, sonst ist da weit und breit nichts. Einer fährt, während der andere schläft. Völlig übermüdet setzt Seltenheim den Liner in den Graben. Über Funk wird Hilfe angefordert, das jemand den Liner abschleppen und reparieren soll. Mit Anlauf springt Seltenheim dem letzten Akt des Dramas entgegen.

Der Roman gliedert sich in in zwei Teile, die urbanen Abenteuer und das Abenteuer in der verlassenen Gegend. Der Anfang von Seltenheim ist durch seine schnelle Szenenfolge und seine gehetzte, unkonventionelle Art nicht ganz leicht zu verstehen. Ein Erzählfluss kommt in den ersten paar Kapiteln nur schwer auf. Sequenzen aus Traum und Rausch spiegeln das nervöse Leben des Protagonisten in den ersten Kapiteln wieder.

Entweder ist das ein genial gelungenes Abbild der kritzelligen Großstadtwelt, mit all seinen Trugbildern und Asymmetrien in der Seltenheim zu Hause ist, oder der Autor Steinbart hat Glück, dass die nervöse Hauptfigur und die gehetzte Metropole auch durch den Stil treffend charakterisiert werden. Für den gewöhnlichen Leser ist die unruhige Art sicher schwierig zu verfolgen, aber peu-á-peu wird der Stil flüssiger. Ab dem Kapitel „Wickler“ werden die Dialoge spürbar leichter nachzuverfolgen und die Erzählung dichter mit der Handlung verwoben. Wo man vorher den Eindruck hatte, dass man nur die Knoten eines losen Netzwerkes vor Augen hatten, sieht man jetzt einen roten Faden. Besonders zum Ende hin, wenn sich Liebe und Drama verdichten, zeigt Steinbart große Erzählkunst auf.

Seltenheim ist ein dystopischer Roman, in dem die meisten Menschen in urbanen Ballungszentren leben. In den verlassenen Landregionen wohnen nur noch wenige Menschen, verstreut über hunderte Quadratkilometer. Warum man die Welt jenseits der Städte aufgegeben hat oder welche Art von Katastrophe es gab, wird nicht erwähnt. Das macht den Roman nur noch spannender. Insgesamt bekommt der Leser seinen schauerlichen Schrecken, unter anderem auch dadurch, dass die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion so dünn zu sein scheint.

Fazit:
Steinbart gelingt es, seine zahlreichen persönlichen Beobachtungen oder Vorstellungen vom Großstadtleben in seinen Roman künstlerisch zu übertragen. Der Kontrast zwischen dem Kaleidoskop der Stadtkultur und der endlosen Weite des klaren, kalten Sternenhimmel da draußen in Verbindung mit dem Schicksal des Protagonisten Seltenheim machen diesen Roman zu einer wunderbaren Gegenwartslektüre. Ideal für lange Winterabende. Ein Roman über Freiheit und Unfreiheit, über Sehnssucht und Liebe.

Den Roman gibts es nicht im Handel sondern ist nur beim Autor selbst zu beziehen.

Fakten:
Buchcover: Seltenheim
Buchcover: Seltenheim
Autor: Steinbart
Titel: Seltenheim
Seiten: 227
Verlag: Eigenverlag
Webseite: www.linkes-auge-hinkt.de
VÖ-Jahr: 2013