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Theaterkritik

Gehart Hauptmann: Bahnwärter Thiel

Eine Theaterkritik über Arnim Petras Inszenierung von Gerhart Hauptmanns Bahnwärter Thiel im Maxim Gorki Theater, Berlin.

22. November 2012

von René Buchfink

Vor genau einhundert Jahren bekam Gerhart Hauptmann den Literaturnobelpreis verliehen. Er gilt als Begründer des deutschen Naturalismus. Das Nobelpreiskommité hat ihn für seine überwiegend dramaturgischen Werke wie Die Weber, Der Biberpelz und Die Ratten geehrt. Das sind die Stücke, die seinen Ruf, nach dem skandalumwobenen Vor Sonnenaufgang festigen.

Bahnwärter Thiel die kleine Eisenbahnnovelle spielt bei Erkner bei Berlin und ist heute eine vielgelesene Erzählung, aber leider wohl nur weil sie im Kanon der Schulbuchliteratur auftaucht. Dabei ist die Novelle ein hervorragendes Beispiel für Hauptmanns Fähigkeit auch prosaische Werke zu schreiben. Das Maxim Gorki Theater Berlin Interpretiert das Werk für die Bühne das am 17.10.2012 Premiere hatte. Diese Kritik bezieht sich auf die Vorstellung vom 21.11.2012.

Auf der Bühne steht ein großes Quadrat. Zu Beginn wird über einen Projektor ein Schattenspiel von hinten an eine Leinwand geworfen. Die märkischen Kieferwälder werden dort simuliert. Die Heirat mit Mimmi, sowie die Geburt des Tobias wird ebenfalls in der ersten verschatteten Szene dargestellt. Das Bähnwärterhäusschen stehen links vor der Bühne auf einen kleinen Rondell. Das Maxim Gorki Theater inszeniert Bahnwärter Thiel mit 3 Hauptschauspielern und 2 Schattenspielern.

Thiels erste geliebte, zierliche und schwache Frau verstarb zeitig nach der Hochzeit. Nach dem das Jahr der Trauer um war suchte er eine unverwüstliche Arbeiterin – in der Kuhmagt Lene fand er sie. Thiel wurde ihrer hörig und abhängig, sie die ihn sexuell mit ihren breiten Hüften und prallen Brüsten betörte mit ihrer hemmungsloser Gier nach Zucht reizte. Ein zweiter Sohn ganz anders als der schwächliche Tobias wurde geboren. Tobiaschen wurde von seiner Stiefmutter in Abwesenheit des Vaters heimlich und unerbittlich geplagt und entwickelte eine unverkennbare Abneigung dem Kind gegenüber. Durch Unachtsamkeit, die nicht gänzlich aufgelöst werden kann, kommt es am Bahndamm kommt zur Tragödie.

Mit der überladenen Darstellung der sexuellen Handlungen, gelang es dem Bühnenstück andere stillere Töne der Novelle nicht aufzugreifen oder kenntlich zu machen. Zwar wird Thiels Liebe zu seinem Sohn Tobias in verschiedenen Szenen dargestellt so zum Beispiel in der Bahnmeisterszene, aber Thiels phlegmatischer Charakter wird in dieser Inszenierung wenig sichtbar gemacht. Das Bipolare zwischen dem Bahnwärterhauschen seinem Refugium bei der Kolonie Schön-Schönhorst und dem Bannkreis um Neu-Zittau wo Lene seine zweite Frau, die eine harte, herrschsüchtige Gemütsart, Zanksucht und brutale Leidenschaftlichkeit hatte, für den Haushalt und die Kinder zu sorgen sollte, kam zu wenig zur Geltung. Die Pein das Tobiaschen ausgesetzt ist und das kranke Phlegma das Thiel auszeichnete musste man mehr erraten als es auf der Bühne erkennbar war. Gerade zum Ende hin wo detaillierte Sensibilität gefragt wäre, war die Intention Hauptmanns nicht mehr deutbar. Die Tanzeinlage war ohne Aussagekraft, und der Tötungsakt den Thiel an Lene vollzog sowie die richterliche Bevorzugung Thiels durch die Vorausgegangenen Umstände wurden erst gar nicht gezeigt. Kurzum, das Ende der Inszenierung ist verstümmelt.

Fazit
Eine enttäuschende Inszenierung, deren Vorlage alle Möglichkeiten an Kreativität- und Interpretationsspielräume sowie psychologische Tiefenwirkung mitbringt. Der Versuch Arnim Petras die Sichtbarmachung, was zwischen den Zeilen steht und bei der Lektüre so berührt, ist ihm meines erachtens nicht gelungen.

Bilder: von Maxim-Gorki-Theater Berlin
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Fakten:
Autor: Gerhart Hauptmann
Regie: Arnim Petras
Schauspieler: Regine Zimmermann, Peter Kurth, Diane Gemsch
Schattenspieler: Sophia Krüger, Kajetan Skurski
Inszenierung vom: 21.11.2012
Textquelle: Ebook als Download