Das RAW-Gelände im Innenstadtbereich der Stadt Berlin gelegen, gilt als einer der letzten zusammenhängenden und großflächigen Bereiche, die ein hohes Maß an stadtpolitischer Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Neben dem Dragoner-Areal, den liegenden Flächen an der Landsberger Allee zum ehemaligen Schlachthofgelände hin oder wegen den Baugrundstücken am Mühlendamm fällt das propagierte Argument, es sei das letzte Grundstück im Innenstadtbereich, allerdings weg. Das Filetstück, wie das Gelände an der Revaler Straße von Investoren auch genannt wird, unterscheidet sich von den oben genannten jedoch dadurch erheblich, das sich seit Rund 19 Jahren vielfältige etablierte Nutzerschaft auf dem Gelände angesammelt hat. Die Diversität und kulturellen Eigenschaften sind zum festen Bestandteil des Bezirkes Friedrichshain-Kreuzberg geworden. Wohl genau deshalb, weil sich durch die Zerstreutheit des Geländes und der Gebäude hinter den ehemaligen Werksmauern andere Formen der Nutzung ergeben als in den dicht besiedelten Anwohnerstraßen des Simon-Dach-Kiezes. Die vormaligen Eigentümer haben das Gelände in verschiedenen Teilen an verschiedene Eigentümer verkauft.
Im Zuge der privatwirtschaftlichen Interessen, sprich Rendite, bleibt es nicht aus, dass an dieser Stelle die eigentlichen Nutzerinteressen mit den Renditevorstellungen der Neueigentümer kollidieren. Dem Zeitgeist entsprechend wurde ein Partizipationsverfahren eingerichtet. In diesem Dialog sind vier verschiedene Akteure beteiligt: Eigentümer, Bezirksvertreter, Nutzer sowie das Unternehmen Urban Catalyst GmbH, die als vom Bezirk bestellte Moderatoren zwischen Nutzern und Eigentümern auftreten.
Neben der öffentlichen Dialogwerkstatt gibt es ein zweites, nicht-öffentliches Gremium, die Lenkungsgruppe. Diese Lenkungsgruppe agierte anfänglich zu dritt. Im Nachgang wurde dem Gremium ein Vertreter der Anliegerschaft zugebilligt.
Nach begrüßenden Worten durch Baustadtrat Florian Schmidt übernahm Urban Catalyst die Moderation des gesamten Abends. Begonnen wurde mit einer kurzen Zusammenfassung der I. Runde, wo bestimmte Grundwerte des RAW deklariert worden sind, so z.B. formulierten damalige Teilnehmer unter anderen, das der konsumfreie Grundcharakter erhalten bleiben muss und die soziale und kulturelle Teilhabe am Gelände für die Öffentlichkeit fortbestehen muss. Für 2040 wurde die Utopie aufgemacht, dass das RAW Teil des Kiezes sei und sowohl städtische als auch lokale Bedeutung für Bewohner hat, grundsätzlich soll das Gelände autofrei bleiben. Für die Zukunft wurde mit breiter Brust proklamiert, dass es weder ein "reiner Park" werden, noch zu einer "reinen Blockbebauung" kommen wird. Nach der sehr kleinen ausgewählten Rückschau, gab es eine kurze Fragerunde wo ein Anwohner empört das Wort ergriff, weil offenbar Ergebnisse und Übereinkünfte der I. Runde hier negiert worden sind, insbesondere was eine künftige Begrünung anbelangt.
Anschließend gab es eine prosaische Darbietung über eine positive Utopie 2040, auf die ein Kurzvortrag von Frau Humann von der Urban Catalyst GmbH folgte. Der Vortrag sollte erneut auf emotionaler Ebene wirken. Unter der Überschrift "Grundlage der Stadt und Nutzerkonflikte" wurden mit starken Bildern Vergleiche mit der engen Bebauung Venedigs und Hong-Kongs angestrengt. Beide Städte wurde als positive Beispiele für eine enge und dichte Bebauung vorgestellt. Die wenigen Freiflächen Hong-Kongs so die Referentin, seien ruhig wie beschauliche Dorfplätze und projizierte eine Verkehrskreuzung der asiatischen Metropole an die Leinwand. Der Kern der Botschaft lief darauf hinaus, das die "Qualität der Dichte" entscheidend sei. Zudem versuchte sie den Eindruck zu erwecken, das die bauliche Verdichtung von Flächen lediglich abzusprechende Verhandlungssache sei. In dem populistischen Vortrag fiel nicht ein sachbezogener Begriff wie Geschossflächen- oder Grundflächenzahl.
Bei den zahlreichen Einlassungen der drei Hauptmoderatoren wurde immer wieder der Begriff des "Wohnraums" für das RAW-Gelände in den Mund genommen. Dieses Phänomen war auf allen "Stationen" sowie über den gesamten Zeitraum zu beobachten.
Gegen 18.30 Uhr wurden die Besucher der Dialogwerkstatt gebeten, sich an den Diskussionen an einer der sieben Stationen zu beteiligen. Dort ging es um jeweils einen Teil des RAW-Geländes. Wie sich die Anwohner und Nutzer zum Beispiel die Ost-West-Achse vorstellen oder das Areal direkt an der Warschauer Straße. Insgesamt wurden bauliche Vorstellungen, "Räume" an den Stationen offeriert. Der jeweilige Geländeteil hing von der gewählten "Station" ab. Rund 200 Personen beteiligten sich an dieser Form des Dialogs. Die Moderation der einzelnen Stationen wurde von Mitarbeitern der Urban Catalyst GmbH übernommen. Auch hier war "Wohnraum" Bestandteil des Wordings, gerne als "Studentenwohnung", oder "Schlafraum für Künstler" verpackt. Diese strategische Entscheidung die Moderation der Urban Catalyst GmbH zu verantworten spiegelte sich in der anschließenden Auswertung wieder.
Gegen 20.00 Uhr versammelten sich die Beteiligten, um die Ergebnisse der einzelnen Stationen via Mikrophone und Lautsprecher zu präsentieren. Auch die Präsentation übernahmen die Mitarbeiter von Catalyst. Hier nun schloss sich der Kreis – ohne Beteiligungsverfahren –. Mehrfach runzelten Besucher der Dialogwerkstatt die Stirn, als ihre Ergebnisse präsentiert wurden. So stieß es einer Besucherin übel auf, dass der eben noch bejahte Freiraum mit Spielplatz und Baumrondell nicht nur keine Erwähnung fand, sondern vor allem gesagt wurde, dass die Beschäftigung mit diesem Teil des Geländes nicht statt fand. Konkret wurde von den Vortragenden Herrn Overmeyer eine Ausweitung des Cassiopeia-Biergarten postuliert, die im Widerspruch zu meinen Informationen steht. Analog dazu wurden auch die anderen Stationen vorgestellt. Visionen, Vorschläge, Ideen der Nutzer und Anwohner wurden in der großen, zusammenfassenden Runde nicht dargestellt, statt dessen wurde meines Erachtens auf die Vorüberlegungen der Catalyst-Mitarbeiter zurückgegriffen.
Zum Ende hin gab es noch kritische Nachfragen in Sachen "Wohnen" bezüglich Beschlüssen der BVV, die vom Baustadtrat Schmidt unbefriedigend beantwortet wurden. Die drei Hauptmoderatoren schlossen die II. Dialogwerkstatt mit dem Fazit , dass es diesmal deutlich anstrengender gewesen sei als das erste Treffen, sie aber deutlicher und stärker determinierte Ergebnisse mitnehmen würden. Die III. und letzte Dialogwerkstatt ist für den 12. Juni 2018 angekündigt.
Fazit:
Dialog sieht anders aus. Beteiligung, gar echte Partizipation findet in der "Dialogwerkstatt" so nicht statt. Ist das eine Farce? Wahrscheinlich. Wie einer der Eigentümer mir gegenüber freimütig erklärte, geht es in der Dialogwerkstatt nicht um die Erörterung oder Eruierung von Bedürfnissen von Anwohnern und Nutzern. Dieses Statement, für das es Zeugen gibt, hat eine hohe inhaltliche Aussagekraft und lässt das gesamte Verfahren in kein gutes Licht rücken. Skepsis bleibt angebracht, der Druck mittels kritischem Widerstand aus der Zivilgesellschaft auf alle Beteiligten sollte hoch bleiben.
Impressionen
Der Autor selber ist regelmäßiger Nutzer des Geländes, das ihm seit 2005 eine Heimat geworden ist.