Vom Niemandsland …
Beide Areale liegen parallel zu den S- und Fernbahngleisen. Während das heutige RAW-Gelände einer bebauten Nutzung unterliegt ist der neu angelegte Wrietzener Park ein bewachsenes Gelände. Die Tour startete gegen 14.00 Uhr vor dem Stoff- und Gerätelager auf dem RAW-Gelände. Kristine Schütt und Uta führten die mit 10 Personen voll ausgebuchte Tour durch das RAW und konzentrierten die Blicke der Besucher auf besondere Pflanzen die auf dem alten Industriekomplex wachsen. Neben Siedlerpflanzen wie Birken die selbst aus kleinsten Ritzen des historischen Mauerwerks heraus wachsen, gibt es auf dem RAW andere Pflänzchen die schnell übersehen werden, wie der Mauerfarn, Bibernelle oder die Wilde Malve. Schön war das beide Naturführerinnen auch die Entwicklung der Natur auf dem Gelände historisch erläutern konnten, da beide auch in der Geschichtswerkstatt_RAW des Soziokulturellen Projektzentrum auf dem RAW tätig sind. So konnten sie darlegen, dass es für die Reichsbahner einst Betriebsgärten längst zur Warschauer Straße gab. Zu sehen oder auch nur zu erahnen ist dieser Teil der Stadtnaturgeschichte nicht mehr. Es sei eines der ersten Dinge gewesen die nach der Öffnung des Geländes nach 2002/2003 verschwand, so Schütt. Die Birken dagegen die sich um den Kletterturm und am Club Cassiopaia befinden, unter denen sich heute Besucher, im deren Schatten sie sich vor der sengenden Sommersonne schützen und Klettersportler ihren Kaffee oder Limonade genießen, haben sich in den 00er Jahren dort angesiedelt. 20 Jahre später, sind sie heute groß gewachsen und bilden ein grünes, parkähnliches Keinod auf dem Gelände dar. Einen nennenswerten Baumbestand am östlichen Ende des RAW-Geländes gibt es nicht mehr. Auf der Seite zur Warschauer Straße hin erklärten die Kristine und Uta, dass die vorhanden Baumriesen etwa zur selben Zeit oder vermutlich kurz nach Gründung des RAW-Betriebsgeländes in den 1870er Jahren gepflanzt worden sind. Kastanien wurden damals bewusst ausgewählt weil deren Früchte Pferdefutter lieferten, die Eiben wurden gepflanzt weil ihr Holz begehrtes Bauholz für Züge und Waggons darstellte. Die mächtige Eiche vor dem Beamtenwohnhaus brach 2017 bei einem Sturm krachend auf das denkmalgeschützte TOR 1. Das sogenannte Ambulatorium war einst umrankt mit Zierwein, jetzt gib es noch einige Stellen an denen Wilder Wein das Mauerwerk verschattet.
Durch den gleichzeitig stattfinden Flohmarkt war das Vorankommen stellenweise etwas mühsam und die Besucher des Stadtnaturspaziergnags erreichten den 2. Teil des Führung erst mit 15-minütiger Verspätung.
… ins Nirgendwo
Auf der anderen Seite der Warschauer Brücke erreicht man durch abwärtsgehende Treppen einen langen Flur, links und rechts gesäumt von Bäumen. Manik und seine Kollegin empfingen die Teilnehmer und führten sie durch die Nachbarschaftsgärten und erläuterten die Funktionsweise einer Kräuterspirale. Auch beim Wrietzner Park gab es eine historische Einordnung. Gezeigt wurden alte Fotoaufnahmen erzählt und wie die Verquickungen mit dem alten Ostbahnhof und alten Heinzkraftwerk sind. Das Heizkraftwerk in dem sich heute der Technotempel Berghain befindet grenzt unmittelbar an den Park. Interessant war zu erfahren, dass auf dem recht schmalen Streifen unterschiedlicher Nutzergruppen den Park nutzen. Da wären zum einen Nachbarn die Hochbeete betreuen oder das Dathe-Gymnasium das dort einen Schulgarten unterhält. Als unbedarfter Besucher läuft man an unscheinbaren Gestrüpp vorbei, die Ranger*innen wiesen jedoch darauf hin, das dieses Gestrüpp Nistplätze von Sperlingen sind und das es deren Kinderstube sei. Als Berliner ist man überrascht zu erfahren, dass dieser Kulturfolger in anderen Städten relativ selten anzutreffen ist. Andere Gras- und Wiesenflächen sind als Biotope für Insekten besonders wertvoll. Wildbienen und Erdwespen, oder auch Hummeln brauchen lehmsandige Böden um zu überleben. Das NIRGENDWO – Umwelt- & Kulturort, das den 2. Teil der Führung macht, verweist diesbezüglich auf einige Anlagen die sie geschaffen haben, neben Hummelburgen auch auf ein sogenanntes Sandarium. Die betreuten Beete um den ehemaligen Lokschuppen sehen wild aus sind aber als „Angebot an die Natur“ zu verstehen. Die Flächen sind derart bepflanzt, das über ganze Jahr über hinweg immer etwas blüht. Die Idee dahinter ist das vor allem Insekten ganzjährig Nahrung finden können. Interessant und erwähnenswert ist welch enormen Einfluss der alte Baumbestand auf das Mikroklima hat. Während die Teilnehmer beim Rundgang der prallen Sonne ausgesetzt waren konnte sich die Teilnehmer unter der Zitterpappel oder Schwarzpappel oder ist es ein hybrid, abkühlen und die gereichten Getränke genießen. Ein Highlight war sicherlich die Sichtung der großen Blauschwarze Holzbiene. Die just einen Tag später von der Heinz-Sielmann-Stiftung zum Gartentier des Jahres auserkoren worden ist.
Nach rund drei Stunden hatte man nicht nur einen Einblick in das was man Stadtnatur nennt bekommen sondern auch immer wieder, und das als wichtigste Erkenntnis, dass Natur unsere Lebendgrundlage ist und wir in Zeiten des Klimawandel und ansteigender Temperaturen dringend natürliche und abwechslungsreich bewachsene Habitate brauchen. Großflächig, gerade im Städtischen Bereichen. Der Klimawandel und das Artensterben war trotz aller Freude an den Naturphänomen die es zu entdecken galt, das bestimmende Thema der Tour. Die geführte Tour im Rahmen des Langen Tages der Stadtnatur über das RAW, vom Niemandsland bis ins Nirgendwo war eine gelungene Tour mit tollen Guides.