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Buchrezension

George Orwell: 1984

Thomas Morus schrieb 1516 das Buch mit dem Titel Utopia, ein erdachtes, ideales Land und Gesellschaft. Georg Orwell (eigentlich Eric Arthur Blair) schrieb 1948 einen Roman mit dem Titel 1984, eine Dystopie, eine Zukunftsvision der menschlichen Gesellschaft wie sie negativer kaum sein kann. 1984 reiht sich in vorderster Linie mit anderen dystopischen Romanen, wie "Fahrenheit 451" oder "Schöne neue Welt" ein.

14. Februrar 2013

von René Buchfink

Winston Smith lebt in Ozeanien und arbeitet im Ministerium für Wahrheit. Seine Aufgabe besteht im wesentlichen darin alte Zeitungs- und Nachrichtenmeldungen zu revidieren und nach Vorgabe anzupassen. Eines Tages beginnt er Tagebuchaufzeichnungen anzufertigen. Es ist verboten seine Gedanken aufzuschreiben und unbedrucktes Papier ist im Jahr 1984 ein höchst seltenes Gut. Er kann nur deshalb seine Überlegungen niederschreiben, weil der Teleschirm nicht sein gesamtes Zimmer erfasst und er sich in einem toten Winkel verkriechen kann. Seine Niederschriften helfen ihm zu erfassen in was für einer Welt und Gesellschaft er lebt.

Es ist verordnete Pflicht, dass in jedem Raum ein Wandbildschirm hängt, in dem der tägliche Hass übertragen wird. Der Große Bruder nutzt den Fernseher um seine Botschaften unter die Leute bringen. Jedes Arbeitskollektiv muss ihre Arbeit unterbrechen und jeweils gemeinsam dem "2-Minuten-Haß" beiwohnen. Ebenfalls im Ministerium für Wahrheit arbeitet Julia, eine wesentlich jüngere Frau. Beide verbindet die Liebe miteinander. Liebe ist nicht erlaubt. Sex dient der Reproduktion. Sie müssen sich im geheimen treffen, bis ihre Beziehung auffliegt und beide in das Ministerium für Liebe eingewiesen werden. Angekommen im finstersten aller Ministerien wird Winston dort mannigfaltig gefoltert.

Die Spuren von, vor der Revolution waren fast vollständig ausgelöscht, es gibt keine nicht gefälschten Bücher, keine alten originalen Zeitungen. Nur einige Alte hatten noch stille Erinnerungen an eine Zeit von vor 40 Jahren. Julia ist zu jung, für sie ist die Überwachung und denunzieren Normal. Kinder denunzieren ihre Eltern. Im Schlaf gesprochene Worten wurden der Gedankenpolizei gemeldet und reichten aus um verhaftet zu werden. Widerstände gegen den "Großen Bruder" wurden gebrochen. Bis auch Winston, nach langer Folter, geheilt aus dem Ministerium für Liebe entlassen wird und eingesehen hat, das er den Große Bruder liebe.

Der Roman enthält eine ganze Reihe von Merkmalen die immer kontextualisiert betrachtet werden sollten. Da gibt es zum einen Die Partei, die Innere und Äußere, die selbst ermächtigend immer Recht hat. Zum weiteren die 3-Jahres-Pläne die eine analoge Funktion der 5-Jahres-Pläne der Sowjetunion haben. Die Anti-Kommunistische Tendenz ist beim Engländer Orwell und seinem Werk 1984 sehr stark. Der Kalte Krieg ist im vollen Gange.

Ein weiteres herausragendes Mittel welches der "Große Bruder" als Lenkungswerkzeug einsetzt ist die permanente Geschichtsklitterung, bis gar 2 + 2 nicht mehr 4 sind sondern 5. Die Vergangenheit wird kontinuierlich an die jeweilige Situation angepasst. Neue politische Allianzen werden so umgeschrieben das es den Anschein erweckt es wäre schon immer so gewesen. Alle Medien unterstehen staatlicher Kontrolle. Es wird revidiert und radiert, bis die Bleistifte glühen, ganz gleich ob Geschichtsbuch oder Glosse, kein einziger Hinweis, das man nun mit dem alten Feind, mit dem man nun gemeinsame Sache macht, darf nachweisbar bleiben. Im täglichen "zweiminuten-Hass" der aus den Bildschirmen kommt, wird der Terror der anderen Propagiert und der eigene Fortschritt Ausgerufen. Eine Stimmung aus der Angst, Duckmäusertum, Verrat und Opportunismus herrscht vor.

Die unmittelbaren Auseinandersetzungen welche die Romanfigur aushalten muss, sind aber emotionaler- und kultureller Natur. Das Neusprech zum Beispiel. Die Verformung der Sprache hat mehrere Funktionen, zum einen sollen die Wörter neu definiert werden zudem wird der Wortschatz permanent reduziert. Einem unliebsamem Wort wie "frei" wird die eigentliche Bedeutung entzogen und wird gänzlich aus dem Wortschatz gelöscht. Die Reduzierung des Wortschatzes hat die Wirkung, das geistige Kreativität verschwindet. Neusprech ist die Amtssprache Ozeaniens. Im Anschluss an die Erzählung hat Orwell eine umfangreiche Erläuterung über das Neusprech beigefügt.

Orwell hat mit 1984 eine Warnung geschrieben. Einfallt und Monokultur, sowie stetige Hysterie entgeistigen, sprich entmächtigen die Menschen. 1984 beschreibt eine negative Welt in der, der menschliche Geist eingehen wird, und sich selbst entwürdigt. Dieser Verlust an autonomer Selbstverantwortung des einzelnen hat in 1984 den point of no return (der Punkt ab dem es kein zurück mehr gibt) erreicht. Die fortschreitende Degeneration der einstmaligen humanistischen Zivilisation ist nicht mehr aufzuhalten. Der Roman ist als ernsthafte Warnung zu sehen, auf eine freiheitlich-liberale Welt aufzupassen und sich schon in den Anfangen gegen "Die Partei" zu stellen.

Fakten:
cover George Orwell 1984
Bild: "1984" von Beachblogger42 unter CC BY-NY-SA 3.0
Autor: George Orwell
Titel: 1984
Seiten: 392
Verlag: Heyne
VÖ-Jahr: 2013
EA-Jahr: 1948