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Buchrezension

Dave Eggers: Der Circle

Dave Eggers Roman über den Totalitarismus der Gegenwart. Der Circle, ein Tech-Unternehmen, das nicht mit der offenkundigen Brutalität des Großen Bruders daherkommt, sondern durch die smarte Verführung allmächtig geworden ist.

04. Oktober 2014

von René Buchfink

Der Roman des Jahres

Buchcover: Dave Eggers "Der Circle"

Mea Holland (24) bekommt die Chance ihres Lebens. Ein Traum erfüllt sich für sie, als ihre ehemalige Kommilitonin Anne ihr eine Stelle beim Circle besorgt. Der Circle ist ein milliardenschweres IT-Unternehmen, dass sich durch neueste und modernste Arbeitsstechnicken auszeichnet und ein fürsorgliches und enges Verhältnis zu seinen Angestellten pflegt. Mea Holland beginnt beim CE, d.h. Customer Experience. Mit ihrer fröhlichen Begabung arbeitet sie sich schnell in ihre neues Betätigungsfeld ein. Sie beantworte verschiedenste Kundenanfragen. Beim Circle arbeiten circa dreitausend Mitarbeiter. Es gibt Kernarbeitszeiten, aber jeder Circler ist dazu angehalten auch nach dem Feierabend, Teil der Gemeinschaft zu sein. Anfänglich nimmt Mae dies nicht ernst. Erst als ihr Vorgesetzter Jared sie mehr oder weniger höflich dazu drängt an den offiziellen und inoffiziellen, Veranstalten teilzunehmen, wird Mae zu einem ganzen Teil des Circles.

Überhaupt ist Partizipation eines der wichtigsten Gebote im Circle. Ihr schräger Liebhaber Francis bringt einen anderen Aspekt auf den Punkt. Kommunikation ersetzt Planung.

Hin und wieder besucht Mae ihre Eltern die nur wenige Autostunden vom Circle entfernt wohnen. Und obwohl das kalifornische Hinterland nicht weit weg von der Küste, vom Wohnort der Eltern ist, trennen sie Welten. Die Beziehung der dreiköpfigen Kleinfamilie ist geprägt von der MS Erkrankung des Vaters und den finanziellen Schwierigkeiten die damit einhergehen. Erst als die Eltern über Maes Betriebskrankenkasse versichert werden, bessern sich die Umstände schlagartig. Er bekommt die Medikamente die er benötigt, dann Krankengymnastik und Pflegehilfe in Anspruch nehmen, die ihn und seine Frau, Maes Mutter entlasten.

Die junge sympathische Mae Holland gehört zu den ersten, die völlig Transparent sind. Nicht nur ihre medizinische Biowerte gehen in die Cloud, auch ihre Sicht auf die Umgebung wird durch eine Kamera, die sie als Amulette um ihren Hals trägt in die Cloud, ins Internet, für alle Menschen sichtbar. Lediglich beim Gang auf die Toilette darf sie für fünfzehn Minuten Bild und Ton abschalten. Nächtliche, stille, geheime Kanufahrten die Mae so gerne machte, sind nun nicht mehr möglich.

Das Verhältnis zu ihren Eltern wird zunehmend schlechter, weil sie nicht weiter Beobachtet werden wollen. Die Flucht und Verfolgung von Maes Exfreund ist der dramatische Höhepunkt der Erzählung.

Dave Eggers gelingt mit Der Circle eine beeindruckende und ebenso bedrückendes Abbild unser Zeit. Mit Der Circle hat er einen der wenigen bedeutenden novellistischen Werke der Gegenwart geschaffen. Kein anderes prosaische Werk der Gegenwart, zeigt dabei die totalitären Strukturen von IT-Unternehmen besser auf. Der Circle ist dabei eine Mischung aus Google, Apple und Facebook zugleich. Die Zings, und Frowns, Blogs, Vernetzungen und Verknüpfungen, dass alles kennt man irgendwo her und es fällt nicht schwer zu verstehen was den mit z.B. Viewern gemeint ist.

Einige Rezensenten beschreiben Der Circle sei ein Zukunftsroman, Science-Fiction-Roman. Es mag sein, das die beschrieben Technologien, bisher nicht im dem Maße perfektioniert sind wie sie dort Beschrieben werden, aber im Grunde sind sie so schon im Einsatz. Der Circle ist ein Gegenwartsroman. Besonders die Gedankenspiele der Circlejünger findet man heute in den großen und supranationalen IT-Unternehmen wieder. Ebenso die völlige berufliche und private Vereinnahmung der Mitarbeiter.

Der Titel der Circle zu deutsch der Kreis, ist eine Metapher für das Allumfassende, für das Vereinehmende und nicht mehr fortkommen aus dem Circle – wir die Guten und Schlauen und die Anderen, die nicht mitmachen die bösen, dummen Steinzeitmenschen. Sie wollen alles und jeden, der Circle ist grenzenlos und unersättlich. Er ist planlos, ziellos die große Vision gibt es nicht, vielmehr handelt es sich um eine konsequente Aneinanderreihung technischer Möglichkeiten. Der Circle bringt dazu das Politiker sich 100% transparent machen müssen. Und übernimmt hoheitliche Aufgaben. Eggers beschreibt einen perfektionierten Neoliberalismus.

Die Circlejünger wollen mit ihren kleinen zu tausenden verteilten Kameras in jeden Winkel der Welt Einblick haben 24/7. Privates ist Diebstahl – Rückwirkend werden Biografien rekonstruiert, Leben zerstört, Geheimnisse und Wünsche werden an die Oberfläche gezerrt. So perfekt, dass sich dem niemand mehr entziehen kann, nicht einmal der Eremit in den hintersten Wäldern der Rocky Mountains.

In der Circle gibt es keine Sieger, höchstens tragische Helden. Die schuldigen der Tragödie sind hierbei wie im echten Leben die Gretchens dieser Welt. Bei Eggers heißt das Gretchen, Mae Holland. Das junge immer fröhliche Ding mitte zwanzig, die völlig selbstverliebt ihre Freiheit aufgibt und in einer selbstverschuldeten Unmündigkeit landet, aus der es kein entrinnen gibt.

Dave Eggers zeichnet beim in seinem Roman ein umfassendes Bild von totalitären Systemen auf. Dabei ist der Vergleich mit Georg Orwells Roman 1984 nicht von der Hand zu weisen, aber Der Circle ist einfach aktueller und trifft die Gegenwart viel präziser. Den Vergleich mit Georg Orwell und auch Huxleys Schöne neue Welt muss man machen allein schon um die Differenzen zu verstehen. In Orwells Dystopie handelt es sich um einen Polizeistaat, den primär äußere Gewalt einsetzt, Angst erzeugt und Repression gegen die Menschen benutzt. Obwohl es auch dort einen inneren Konformitätszwang gibt, hat sich bei Eggers Roman die körperliche Gewallt völlig verabschiedet und die Psychologie und die Manipulation der menschlichen Gefühle und Bedürfnisse, die Oberhand gewonnen um die totalitären Ideologien durchzusetzen. Hinzukommt auch das es sich bei den in den 1950er Jahren erschienen Romanen um nationale bzw. territoriale Auseinandersetzungen handelte. Im 1984 standen sich Oceanen und Eurasien und Ostasien feindselig gegenüber, als Bildnis zum kalte Krieg, der imperiale Westen gegen den kommunistischen Osten. Der Circle dagegen ist übernational. Grenzen sind beim Circle so oldschool und dienen als Hyperlink in die alte unvernetzte Welt. Der Zwang zur Konformität in der Welt des Circles trifft man unter anderen in dem kleinen wiederkehren den Symbolen wie z.B. das Buttondown-Shirt (Businesshemd).

Dave Eggers gelingt es, ein umfassendes Bild, einer kranken Gesellschaft zu zeichnen. Überwachung ist dabei nur ein Aspekt. Unbenannt aber auffällig ist der Überbordende Jugendwahn den der Circle begleitet und ebenfalls Teil unserer westlichen Moderne ist. Die extremen ökonomischen Differenzen in der Gesellschaft werden plastisch dargestellt.

Inhaltlich gelingt Eggers der große Wurf. Viele Kritiker bemängeln an diesen Roman die eher schlichte sprachliche Eleganz und die flach gezeichneten Figuren. Was aber zahlreiche Kritiker dabei übersehen, ist, das gerade die flachen und durchsichtigen Figuren einen Blick in den tiefen Abgrund erlauben. Am Grund schwimmt der gefräßige Raubfisch und wartet nur darauf das wir hinabspringen. Wären die Charaktere feiner und detaillierter, die Umgebungsbeschreibungen ausführlicher, würde es den Leser den Blick auf den Grund des Becken vertrüben. So sitzt man auf dem Beckenrand, blickt hinunter, liest Seite für Seite was mit zunehmenden unbehagen und unwohlsein einher geht. So habt man die Chance zu erkennen welch ein Wahnsinn es wäre ins Haifischbecken zu springen, auch wenn er im ersten Augenblick aussieht wie ein schöner Schwimmingpool.

Das fehlen prosaischer Eleganz, darf nicht dazu führen die fulminante Bedeutung des Werks, zu verkennen. – ganz klare Leseempfehlung

Dave Eggers, am 12. März 1970 geboren in USA, veröffentlichte seinen ersten Roman A Heartbreaking Work of Staggering Genius im Jahr 2000. Im Jahr 2013 wurde der Roman The Circle veröffentlicht, der im Frühjahr 2014, in der deutschen Übersetzung von Ulrike Wasser und Klaus Timmermann, bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist.

Der Roman wurde 2017, als Science-Fiction-Thriller unter der Regie von James Ponsoldt verfilmt. James Ponsoldt und Eggers schrieben am Drehbuch. Die Rolle von Mea Holland übernahm die Schauspielerin Emma Watson.

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Fakten:
Buchcover: Dave Eggers "Der Circle"
Autor: Dave Eggers
Titel: Der Circle
Seiten: 559
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Vö-Jahr: 2014