Das Natürlichste der Welt
Die Journalistin und Aktivistin Annette Jensen widmet sich in ihrem Buch Holy Shit dem Thema Kot, Urin und damit verbundenen Naturkreisläufen. Das 240 Seiten umfassende Buch ist in 14 Kapitel gegliedert und deckt alle erdenklichen Aspekte unseres Umgang mit Kot und Urin ab.
In Scheiße einst und jetzt gibt sie einen historischen Abriss über den Umgang mit unseren Hinterlassenschaften. Dabei hat sie nicht nur die europäische Geschichte auf dem Schirm, sondern blickt über den europäischen Kosmos hinaus. Eine kurze Kulturgeschichte von Aborten, Bädern, Toiletten, Abwassersystemen, Landwirtschaft, Scham- und Hygienevorstellungen.
Als übergeordnete Prämisse macht Jensen deutlich, dass gebundener Stickstoff und Phosphor, beide nachweislich und zwingend zum Pflanzenwachstum notwendig, endliche Ressourcen sind und dass Kot und Urin nicht wie bisher als Abfall, sondern als wertvolle Rohstoffe betrachtet werden sollten.
Holy Shit ist didaktisch sehr gut aufgebaut, weil Jensen mit Auslassungen spart und einen ganzheitlichen Blick auf den Gegenstand der menschlichen Hinterlassenschaften hat. So beschreibt sie zum Beispiel, welchen Einfluss das Mikrobiom in uns hat, und dass es Kot-Datenbanken gibt. Dass diese wissenschaftlichen Kot-Datenbanken gefüttert werden mit exotischen Stuhlproben. Auch dass hinter zentralisierten Abwassersystemen knallharte kapitalistische Interessen stehen, stellt Jensen sehr gut dar. Und: wer weiß denn schon, dass nicht die Kühe, die in Weidehaltung gehalten werden, zuviel Methan absondern, sondern lediglich die, die in Stallhaltung mit Kraftfutter gefüttert und gehalten werden, das Problem sind. Von diesen Augenöffnern gibt es viele und sie sind argumentativ gut nachvollziehbar sowie mit Quellenangaben unterfüttert. Unter anderem wirft Jensen einen Blick auf Landwirtschaft, Städtebau, Architektur und Juristerei.
Das Sachbuch besticht durch seine Vielseitigkeit, Praxisnähe und stilistische Zugänglichkeit. Sowohl Schüler:innen aller Altersklassen als auch versierte Fachleute können daraus viel lernen. Es enttabuisiert und eröffnet Diskussionsräume jenseits falscher Scham und beleuchtet einen bisher eher arschdunkel gebliebenen Teil in der Nachhaltigkeitsdebatte. Erfreulich ist auch, dass Holy Shit viele positive Beispiele und funktionierende Alternativen aufzeigt. Offensichtlich hat Jensen in ihrem Buch genau darauf sehr viel Wert gelegt. Es ist möglich, einen modernen und hygienischen Umgang mit Kot und Urin zu haben, egal ob Stadt oder Land, der Natur- und Stoffkreisläufe nicht unterbricht und Fäzes und Urin nicht als Abfall, sondern als Rohstoff zu sehen. Holy Shit macht Hoffnung, dass wir einen Umgang mit Scheiße & Co finden, der nicht nur gut, sondern auch Teil des Guten Lebens werden kann.
Annette Jensen, war Mitbegründerin des Ressorts Wirtschaft und Umwelt bei der taz und schreibt heute als freie Journalistin und Buchautorin vor allem über ökologische und gesellschaftliche Transformation. Sie ist Sprecherin des Ernährungsrats Berlin.
Fakten: | |
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Autor: | Annette Jensen |
Titel: | Holy Shit |
Seiten: | 240 |
Verlag: | Orange Press |
VÖ-Jahr: | 2024 |
Preis: | 20,00 € |