Monde vor der Landung ist eine rekonstruierte Biografie über Peter Benders Leben, sein Wirken, seine Wünsche, Hoffnungen und Phantasien. Diese Rekonstruktion basiert auf staatlichen Dokumenten, Zeitungsartikeln, zahlreichen Briefen an die Koreshgemeinde in Florida, Gesprächen mit Zeitzeugen und nicht zuletzt Peter Benders Roman „Karl Tormann“. Als kritischer Leser muss ich die Frage offenlassen, ob es sich bei Monde vor der Landung wirklich um eine Biografie oder nicht doch um eine Pseudobiografie handelt. Beides ist Setz zuzutrauen. Ich tendiere deutlich zu zweiten, denn was mir auf über 500 Seiten vorliegt ist in erster Linie ein Roman. Die Rahmenhandlung wird mit echten oder scheinbar echten Fakten angereichert. Die Binnenhandlung handelt von Peter Bender und seiner Hohlwelttheorie, von seinen Wahrheiten, seiner Arbeit, seiner Gemeinschaft von Auserwählten und Familie. Aus dem Roman wird nicht ersichtlich ob es den am 29. Mai 1893 in Bechtheim geborenen Jungen, so wie uns erzählt wird, wirklich gab.
Der kleine Peter
Der kleine Peter hat eine überaus unbeschwerte Kindheit. Als geliebtes Einzelkind hat der Knabe viele Freiheiten und es mangelt ihm an nichts. Zwei Eigenschaften so stellt Setz es dar, begleiten Peter seit jüngsten Lebenstagen. Der Junge ist blitzgescheit, lernt in windeseile lesen und schreiben und was weniger schön für ihn ist, er hat Migräne, wenn ihm manchmal bei Hochdruckwetter ein plötzlicher stechender Schmerz in der Schädelnaht
alle Sinne raubt. Alles ist ganz behütet im Hause Bender. Alles ist ganz sorgenfrei, bis zum Unfall, den der Großvater mit der Straßenbahn hat. Der Großvater verliert ein Bein. Der Stumpf entzündet sich und kurz darauf ist er Tod. Zu diesen Zeitpunkt ist Peter 10 Jahre alt. Ab da an, gibt es erste Risse in Peters Kontinuum mit dieser Welt. Es ist der unsichtbare, geheimnisvolle, elektrische Strom, den er kritisch beäugt und der peu à peu in alle Haushalte Einzug erhält. Abgesehen von diesen einen Schicksalsschlag, ist seine Kindheit und Pubertät unauffällig. In der Schule interessiert ihn besonders Mathematik. Seine schnelle Auffassungsgabe lässt ihn mühelos durch alle Klassen, ohne Reibung hindurch rutschen. Aus dem kleinen Peter ist ein richtiger Schnelldenker und Schnellredner geworden.
Der Große Krieg
Von der Schule weg meldet er sich freiwillig für den Krieg. – 1914. Nach kurzem Aufenthalt an der Westfront ist er nun an der Ostfront. Als Fotograf, sitzt er im Rang eines Fliegerkadett im Fond einer eindeckigen Fokker und macht aus dem Flugzeug heraus Bilder von Stellungen und Truppenbewegungen des Gegners. Zwischen den Einsätzen hat Bender viel Zeit, die er mit seinen Kameraden verbringt. In dem Umfeld entwickelt Bender seine Leidenschaft für die Hohlwelttheorie und andere skurrile Theorien. Bender der schnellredend und überzeugend auftreten kann, findet ein paar Kameraden mit denen er nun über allerlei Ungereimtheiten im kopernikanischen und newtonschen Weltbild sprechen kann. Anfänglich aus Spaß und Langeweile, wird mit fortlaufender Dauer des Fronteinsatzes, aus dem lustigen geplappere langsam ernst gemeinte Agitation. Heute würde man sagen, dass die anfänglichen Stubengespräche der Eingang in den Kaninchenbau gewesen sind.
Nach den Absturz mit der Fokker, Verwundung und Rekonvaleszenz wird es nicht besser mit Benders Meinung. Im Gegenteil, unter dem Eindruck von Leid und Tod, von verstümmelten Kameraden und Schwerverletzen, verfestigt sich sein Hang zu Verschwörungstheorien. Der Krieg hinterlässt einen traumatisieren Peter Bender. Dabei ist er mehr oder weniger nur auf den Kopf gefallen. Er hat sich eine Schädelfraktur zugezogen, als sich sein Flugzeug bei der Landung überschlagen hat. Seit dem hat er noch mehr mit Migräne und epileptischen Anfällen zu tun, aber im Vergleich zu den Anderen wirklich Glück gehabt. Ein bisschen erinnert mich die Szenen im Lazarett an Ernst Weiß Ich, Der Augenzeuge, wo ein A.H.
zwischen all den Schwerverletzen im Lazarett ohne Befund, sich als blind darstellt. Unter dem Eindruck des Krieges und den durchaus nachvollziehbaren psychischen Trauma, blüht sein Hang zu Verschwörungstheorien vollends auf.
Gute Zeiten
Er heiratet Charlotte, die er im Lazarett kennen lernte, sie war dort als Krankenschwester aktiv. In den Momenten des Narkoserausch waren die Schwestern für ihn engelshafte Wesen. Sie bringt eine stattliche Mitgift in die Ehe ein. Nach Kriegsende und als Zivilist greift er sein Faible für die Nibelungensage und Hohlwelttheorie auf und verflechtet alles zu eigenen Theorien und Weltbilder. Er fängt an in Brauhäusern und Kneipen Vorträge zu halten. Die Keller sind voll. Die Leute kommen um zu staunen, sich zu amüsieren, sich aufzuregen bzw. regen sich darüber auf, für den verschwurbelten Quatsch auch noch Eintritt bezahlt zu haben. Es sind Vorträge in denen es darum geht, dass wir gar nicht auf der Außenseite der Erde leben, sondern auf dessen Innenschale, das Monde, Planeten und Kometen Geister der Vergangenheit sind. Garniert sind seine Aussagen mit eigenen mathematischen Modellen, handgemalten Skizzen und ähnlichen. Einstein, Heisenberg liegen falsch, so Bender. Warum erkennt das niemand? – Nur die Auserwählten. – Seine Gemeinde deren Hohepriester er ist. Die Welt von seinen Ansichten und Erkenntnissen, seiner Wahrheit zu überzeugen, dass ist ihm seit Kriegsende zum Lebenssinn geworden. Mit aller Radikalität stürzt er sich in seine Arbeit. Seitenlange Pamphlete schreiben, Vorträge halten, Buchprojekte Anfangen, verwerfen, – Arbeit an seinem Karl Tormann. Ab und zu bleibt ein Mensch bei ihm und seiner kleinen Gemeinde kleben. Wie zum Beispiel Else, die seine geliebte wird. Sein Schnellrednertum, seine Gedankensprünge, sein unerschütterlicher Glaube an sich selbst können durchaus beeindruckend sein. Seine Art zu reden, ist immer überwältigend. Charlotte ist zwar nicht aktiv in sein Tun eingebunden, lässt ihren Mann aber gerne machen. Sie ist nicht minder gerne in herausgehobener Position als Priestergattin.
Schlechte Zeiten
In Frankfurt lässt man ihn lange Zeit als Narr gewähren, doch irgendwann reicht es den den Stadtoberen und Bender bekommt Auftrittsverbot. Natürlich hält er sich nicht daran und wird dafür in Arrest gesteckt. Mit guten Vorsprechen seiner Frau, kann er das Gefängnis nach einigen Wochen wieder verlassen. So kommt ein sozialer Abstieg nach dem anderen. Hinzu kommen ökonomische sorgen. Inflation: Charlotte muss mit ihrer Arbeit als Fremdsprachenlehrerinn, die Familie über die finanziellen Runden bringen, während Peter über Raketen schwadroniert die zum Erdmittelpunkt fliegen können, aber kein Pfennig verdient. Hyperinflation: Charlotte hat die rettenden Einfälle. Er erlebt Jahre im Irrenhaus – nur mit äußerster Mühe gelingt es Charlotte ihn daraus zu holen.
Der Hohlglobus den er von seinem Vorbild Neupert geschenkt bekommen hat ist ihm heilig geworden. Bender läuft weiter mit Scheuklappen, aber lauter Fresse durch die Gegend. Zu Vorträgen kommt keiner mehr, höchstens seine Freunde die ähnlich skurrile Beschreibungen der Welt im Koffer haben. Seelischen Halt findet er nur noch in der Korrespondenz mit der kleinen Koreshgemeinde die in Florida USA ansässig ist. Während Peter von großen Weltkongressen träumt, gucken sich die Nazis sein Tun ganz genau an. Seine Frau ist Halbjüdin und leidet bereits unter sozialen Beschränkungen. Peter hat dafür kein Sinn. Peter, Charlotte die Kinder, der älteste Sohn Gerd. – Die ganze Familie ist ökonomisch verarmt, sozial geächtet. Obwohl die neuen Machthaber mit den nordischen Mythologien und der Thulegesellschaft spielen, ärgert sich Peter, dass seine Genialität und seine Entdeckungen immer noch nicht gewürdigt wird. Das Zaudern, das Zögern, das Verkennen der Realitäten in Hitlerdeutschland, all das mündet in einer Tragödie.
Monde vor der Landung
Ich habe es oben schon anklingen lassen, das ich mir nicht sicher bin ob es sich bei diesen Roman und eine Nacherzählung einer echten Person, oder um eine rein fiktive Person handelt. Setz garniert die Seiten mit Abdrucken von Briefen, Skizzen und Bildern um einen Eindruck von Authentizität zu erwecken. In meiner Beurteilung bleibe ich unschlüssig, mit der Tendenz zum Fake.
Man lernt die Hauptfigur recht gut kennen, doch eine Entwicklung der Persönlichkeit von Peter Bender, nach dem Krieg, findet nicht statt. Das ist Konsequent, aber etwas mehr Spielraum in der Persönlichkeitsentwicklung hätten sicher mehr Spannung in die Erzählung hinein gebracht. Auf der anderen Seite sind 520 Seiten, die der Roman umfasst auch schon recht ausgedehnt. 200 weitere Seiten würden dem Buch, meiner Meinung nach nicht gut tun. Charlotte mit ihrem … Kampf um Peter
ist nicht weniger Interessant zu beobachten. Sie ist in der Beziehung, sowohl in literarischer, als auch als Ehefrau von Peter ein Gegengewicht. Ich finde ihre Rolle sehr interessant. Die Fragen die man sich zu ihr stellen kann, lässt Setz alle offen. Das finde ich gut.
Dieser Roman ist kein Sachbuch, dennoch lassen sich hier alle Attribute wiederfinden die für Verschwörungstheorien typisch sind. Angefangen von der Misogynie, Antifeminismus würde man heute sagen, den Hang zu Mystik und Esoterik, die Horoskope und Sternenkonstellationen, dem Misstrauen der Wissenschaft bzw. der Glaube an die eigene Wahrheit, kredenzt mit abstrusen und selbstrefferenziellen Beweisen die vorgelegt werden um die eigene Theorien zu untermauern, bis hin zur Kritik an die Mainstreampresse die seine Bücher nicht veröffentlichen will. Der Antisemitismus, jedoch ist ein Merkmal das im Roman nicht groß zur Geltung kommt. Monde vor der Landung hat eine ganz andere Wirkungsweise, als Sachbücher wie die von Nocun und Lamberty, zum Beispiel, Fake Facts: wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen.. Die Literarische Erzählung wirkt ästhetisch, emotional nicht rational, faktenbasiert. Diese Prosa hat ganz eigene Qualitäten die nicht zu unterschätzen sind. In Das Beil von Wandsbeck von Arnold Zweig, verfängt sich Albert Teetjen auch in esoterischen Schwindel und Wünschelrutegängerei. Der Unterschied zwischen Albert und Peter ist, dass es bei Albert offensichtlicher Selbstbetrug, bei Peter der Glaube jedoch wesensimmanent ist.
Monde vor der Landung ist Anfang 2023 im Suhrkamp-Verlag erschienen. Die Coronapandemie geht gerade von einen pandemischen in einen endemischen Zustand über. Diese Virenseuche hat in Deutschland, Österreich die sog. Querdenkerbewegung hervorgebracht. Eine Bewegung die Vordergründig gegen die Coronamaßnahmen der Bundesregierung demonstrierte und gleichzeitig in großen Teilen die oben angesprochen Attribute zu Verschwörungstheorien rezipiert haben. Man kann diesen Roman als Spiegel auf die Gegenwart lesen. Parallelen zum Heute, zu zerrissenen Familien sind deutlich zu erkennen – von Coronaleugner, Impfskeptikern, Reichsbürger etc.. Ich rate jedoch davon ab den Roman als Replik auf die Corona-Querdenken-Bewegung zu sehen. Das würde Monde vor der Landung als Kunstwerk nicht gerecht werden. Ich gehe außerdem nicht davon aus das Setz das im Fokus hatte.
Der in drei große Teile gegliederte Roman lebt weniger von der Spannung, als von der Faszination des Milieus, das Setz hier beschreibt. Setz gelingt es sehr sensibel und präzise das Wesen von Peter Bender nachzuzeichnen. So unsympathisch der Protagonist auch ist, so stellt sich doch über die Zeit so etwas wie Mitleid mit der Hauptfigur ein. Bender mit seinem Narzissmus hat keinen Sinn für die Welt. Er bleibt Zeitlebens unbefriedigt. Ein Gefangener seiner Selbst. Monde vor der Landung beschreibt ein Porträt eines Intelligenten aber geistig armen Mannes, der seine Familie mit in den Abgrund zieht.
Clemens J. Setz, am 15. November 1982 in Graz, Österreich geboren. Neben den Erzählbänden Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes und Der Trost runder Dinge, haben Romane wie Indigo beim Leser Eindruck hinterlassen, für Die Bienen und das Unsichtbare gewann er den Georg-Büchner-Preis.
Für die Buchbesprechung hat mir der Suhrkamp-Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
Fakten: | |||
---|---|---|---|
Autor: | Clements J. Setz | ||
Titel: | Monde vor der Landung | ||
Seiten: | 520 | ||
Verlag: | Suhrkamp-Verlag (Berlin) | ||
VÖ-Jahr: | 2023 | ||
Preis: | 26,00 € |