Denklatenz

Das Magazin

Buchrezension

Lion Feuchtwanger: Die Geschwister Oppermann

Eine Rezension, anlässlich zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933.

25. Juli 2016

von René Buchfink

Der Roman Die Geschwister Oppermann wurde von Lion Feuchtwanger im Exil geschrieben und 1933 im Querido-Verlag in Amsterdam auf Deutsch erstveröffentlich.

Die Geschwister, Gustav, Edgar und Martin, leben in Berlin und sind stolze Herren des Hauses Oppermann, das bereits in dritter Generation Möbel fabriziert. Angesehen in weiten kreisen, stehen die Oppermanns für solide Bürgerlichkeit. Prof. Dr. Edgar Oppermann hat ein Operationsverfahren entwickelt wo bisher hoffnungslose Fälle nun doch noch zu retten sind und hat es dadurch zu weltweiter Reputation gebracht. Martin Oppermann ist der Geschäftsbegabte und führt das Möbelhaus‑Oppermann mit seinen Filialen.

Ihr Geschäft verläuft zusehend mieser, die Völkischen werden in der Stadt immer dreister und werfen sogar Juden aus der U-Bahn. Die Polizei schaut nur zu und sperrt statt die ungehobelten Braunhemden, lieber Kommunisten ein. Schutzhaft nennen sie es. Die Wahrnehmung der Brüder ist getrübt durch humanistische Bildung und durch ein hohes Maß an Idealen. Sie geben den Völkischen keine Chance die Wahlen im Januar zu gewinnen. Ein Kulturvolk wie die Deutschen könne, sagen sie, auf die Propaganda des Schnäuzbartträger und des kleinen Hinkenden, gar nicht reinfallen. So schlimm wird es schon nicht werden, so ihr gemeinsames Urteil. Nach und nach hält das braune Gedankengut einzug in die Hauptstadt. In Schulen und Krankenhäuser werden gute geschatzt, und zunehmend durch Völkische aus der Peripherie ersetzt. Man sieht zu wie der humanistisch ausgeprägte Lehrer Dr. Heinzius und durch den ostpreußischen Oberlehrer Dr. Vogelsang ersetzt wird, und die einst gepflegte humanistisch-liberale Haltung an dem Gymnasium, mit Ungeist aber aller nordischer List versäuert wird. Dem begabten Assistenzarzt Dr. Jacoby wird der Aufstieg verwehrt und stattdessen ein arischer Arzt befördert.

Ich habe Ihnen schon erklärt, Oppermann, sagte Lorenz, ich bin im Prinzip für ihren Schlemihl. Aber ich sag's pfeilgerade, ich sehe Schwierigkeiten. Gewisse maßgeblich Herren schauen jetzt mehr auf repräsentatives Äußeres als auf qualitatives Inneres. Diese Saupolitik. Unter allen Umständen ist Reimers Ihrem kleinen Jacoby um eine Vorhautlänge vorraus. […]

Das Tradionshaus Oppermann, allein im Zugeständnis der neuen Zeit, umbenannt in Deutsche Möbelfabrik, musste trotzdem überschrieben werden. Drei Generationen in Berlin, mindestens sieben Generationen lang in Deutschland, leben die Oppermanns nun schon. Juden waren sie eher pro forma, nun wird ihnen das Land fremd das sie lieben. Nach der Wahl, schlossen sich immer mehr schwache Deutsche, den geboten Hitlers, an. Schazten und Denunzierten ihre Nachbarn zusehens, sperrten Linke und Sozialdemokraten ins KZ, Unwillkommene sowieso. Die Schutzpolizei ließ sie gewähren, Richter und Juristen verließen die Rechtstaatlichkeit und beugten das Recht im Sinne Hakenkreuzler.

Den Abschied aus Deutschland treten die Geschwister, mit ihren Familien unterschiedlich an. Im Exil sind sie der Heimat und ihrer Kultur beraubt. Ihre Gemeinsamkeiten, ihr Familiensinn, wurde durch die braune Brut zersprengt.

Die Geschwister Oppermann ist ein Roman der der Exilliteratur und ist der Mittelteil der Wartesaal-Triologie von Lion Feuchtwanger. Als die NSDAP im Januar 1933 die Wahlen gewannen, befand sich Lion Feuchtwanger auf Lesereise in den USA. Als einer der wenigen wohlhabenden deutschen Schriftsteller war für ihn der Verbot seiner Werke, nicht gleichbedeutend mit wirtschaftlicher Not. Seine Werke wurden damals schon in andere Sprachen übersetzt und vertrieben, was zu Beginn des 20. Jahrhundert eher die Ausnahme als die Regel war. Grundsätzlich war die Deutsche Literaturgesellschaft nahezu vollständig auf den Heimatmarkt ausgerichtet. Mit Ausnahme von Thomas Mann wurde fast niemand der bekannten deutschen Literaturgrößen wie Josef Roth, Arnold Zweig, Gerhart Hauptmann, Heinrich Mann usw., in anderen Ländern Verlegt, mit dem Verbot ihrer Bücher wurde vielen Autoren die wirtschaftliche Existenz genommen.

Gleichwohl Lion Feuchtwanger nicht in Deutschland war, hatte er durch die zahlreichen Gäste denen er in seinem Haus in Frankreich Unterschlupf gewährte, viele Eindrücke und erfuhr von seinen Schriftstellerkollegen detailliert was sich in Deutschland zusammenbraute. Die Geschwister Oppermann sticht u.a. durch sein zeitiges Erscheinen hervor. Die politische Gefahr fasste er schon früh ins Auge. Der Roman konnte schon 1933 im Amsterdamer Querido-Verlag veröffentlicht werden, während Werke anderer Exilautoren erst wesentlich später geschrieben und erschienen. Das siebte Kreuz von Anna Segherts wurde 1938 geschrieben, das meiste jedoch wurde Literatur für die Schublade wie F.C. Weiskopf in Unter fremden Himmeln darstellt, erreicht nie das Tageslicht.

Überaus eindrucksvoll, mit hoher intellektueller Raffinesse, hat Lion Feuchtwanger ein Bild über den Wandel, den Deutschland ergriff erschaffen. Im Fokus steht der schleichende Prozess – wie Stück für Stück die Repressalien stärker werden, anfängliches Unbedachtheit wurde zum Bedenken, Ungerechtigkeiten im Alltag nahmen zu, die Gewöhnung an Angst und Schrecken, ist des hinkenden Mannes Ziel. Über die Verschleppungen in Konzentrationslager, Polizeiliche Verhöre für nichts, Verbannungen, Raub und ungesühnte Morde werden verschwiegen und vertuscht – niemand will wissen. Wer sich laut Empört ist verloren. Die langsame Einhegung der Freiheit, bis nichts mehr davon vorhanden ist, man plötzlich im Gefangenenlager aufwacht ist der eigentliche Tenor des Romans. Der Roman spielt überwiegend in Berlin, und spiegelt auch im Schwerpunkt die Berliner Situation wieder.

Fazit: Ein Weltklasseroman, der zu den besten deutschen Romanen jener Zeit gehört.

Text auf Mastodon teilen:
Instance:
Fakten:
Buchcover: Feuchtwanger Die Geschwister Oppermann
Autor: Lion Feuchtwanger
Titel: Die Geschwister Oppermann
Seiten: 372
Verlag: Aufbau-Verlag Berlin
Vö-Jahr: 1963
Erstveröffentlichung: 1933