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Buchrezension

Montesquieu: Wahrhaftige Geschichten

Ein Schelmenroman des französischen Staatsrechtler und Philosophen. Kurzweilig und Amüsant.

von René Buchfink

Meine Vorliebe für französische Literatur hält sich in Grenzen. Auf diesen Fund im Antiquariat möchte ich dennoch näher eingehen und hier vorstellen. Was mich zum kauf dieses Büchleins veranlasst hat war das lange Vorwort von Vicktor Klemperer und die außergewöhnlich gute Aufmachungen des gesamten Buches, das mit einer Vielzahl von wunderschönen Holzschnitten versehen ist. Ansonsten war mir Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu so sein ganzer Name und Titel, kein Begriff. Zu bemerken, dass Montesquieu (1689-1755) als Jurist und Staatsrechtler mit seinen Thesen ein Vor- und Wegbereiter für Jean-Jacques Rousseau Arbeit war, ist eher ein interessante Nebensächlichkeit aber in dem Fall nicht von literarischer Bedeutung.

Holzstich: in Ketten gelegter Gefangener von Klemke
Holzstich von Werner Klemke aus Montesquieu Wahrhaftige Geschichten

Wahrhaftige Geschichten gliedert sich in zwei Handlungssträngen, der ersten, einem kurzen Prolog eines unglücklichen Buchhändlers (Verlegers) der auf der Suche nach neuem Büchern ist um sein Geschäft zu beleben. Eine hervorragende Persönlichkeit unter seinen Freunden erfüllte ihm den Wunsch und schrieb die Wahrhaftigen Geschichten.

Der Zweite Teil bildet die Binnenhandlung ab. Die Erzählung beginnt vor viertausend Jahren damit, dass ein Indischer Knecht seinem Lehnsherrn mehr schlecht als recht dient und zu guter Letzt diesem noch seine Habe stiehlt und flüchtet. Insgesamt ein böser, fauler Spitzbube. Schlussendlich wurde er von einem gehörnten Ehemann tot geschlagen.

"Meine Seele wahr ganz neu und hatte noch keine anderen Körper beseelt. Sie wurde an einen Ort gebracht, wo die Philosophen über sie Gericht halten mussten. Man wog mein ganzes Leben, und die Schale des Bösen fiel nur so herab. Das Urteil lautet auf Übergang in die gemeinsten Tiere und wurde unter die Gewalt eines Bösen Genius gestellt."

Durch einen begünstigenden Umstand erhält der feiste Spitzbube die Möglichkeit sich an seine voran gegangenen Leben zu erinnern. Eben diese vielen kleinen und großen Leben beschreibt die „hervorragende Persönlichkeit“ in seinen „Wahrhaftigen Geschichten“. Viele Generationen als kleines Getier, als Vieh, als Mensch auf fremden Kontinenten, als Frau in fernen Ländern.

Die Erzählung ist in den Prolog, und fünf Büchern aufgegliedert. Den Reiz erhält Wahrhaftige Geschichten durch die konsequente Ich-Perspektive und die viel zahl an angenommen Persönlichkeiten und Leben. Der schelmische Humor den die Hauptperson ausmachte kommt in jedem seiner Leben zu tragen und macht Montesquieus Erstlingswerk relativ leicht zu lesen, gleichwohl ich die Art und Weise seines Erzählstil mehr an die morgendländischen 1001-Nacht-Erzählungen erinnert als an moderne mitteleuropäische Prosa.

Fazit:
Ein absolut lesenswertes und zu unrecht verschollenes Buch.

Fakten: Cover Montesquieu Wahrhaftige Geschichten
Bild: Buchcover
Autor: Montesquieu
Titel: Wahrhaftige Geschichten
Verlag: vorliegende Fassung vom Aufbau-Verlag (1986),
3. Auflage, 191 S. mit Holzstichen von
Prof. Werner Klemke.
VÖ-Jahr: 1986
EA-Jahr: Histoire véritable d’Arsace et Isménie (1730)