Gemessen an ihrem Marktwert, stehen die fünf "Internetriesen" Microsoft, Apple, Alphabet (Google), Amazon und Facebook inzwischen unangefochten an der Spitze der weltweit wertvollsten Unternehmen. Google und Facebook sowie viele andere digitale Plattformen bieten ihre Dienste kostenfrei an; ihre Einnahmen generieren sie überwiegend aus dem Verkauf von Werbeanzeigen, die durch die Analyse der Nutzungsdaten und durch die Erstellung von digitalen Profilen zielgruppengerecht dargeboten werden.[1] Fragen der Sammlung, Aggregation, des Zugangs und des Ausschlusses von Daten sind inzwischen stark mit Machtfragen verknüpft, die über bloße Marktmarkt hinausreichen. Die neuen Machtasymmetrien der Datenökonomie rufen daher auch in der Politik Besorgnis hervor. So sagte etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel im Januar 2018 beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos: "Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Die Antwort auf die Frage ‚Wem gehören diese Daten?‘ wird letztendlich darüber entscheiden, ob Demokratie, Partizipation, Souveränität im Digitalen und wirtschaftlicher Erfolg zusammengehen. (…) Wir brauchen eine Soziale Marktwirtschaft 4.0, nicht nur eine Industrie 4.0."[2]
Daten als solche sind, jedenfalls in Europa, nicht eigentumsfähig. Sie können aber als Geschäftsgeheimnisse oder urheberrechtlich geschützt werden. Die Rechtsfigur eines Dateneigentums widerspricht dem traditionellen deutschen Zivilrecht, das (sachenrechtliches) Eigentum nur körperlichen, materiellen Gütern zuerkennt.[3] Daten dagegen sind immaterielle Güter, sie gleichen einem öffentlichen Gut, zumindest im Hinblick auf den Aspekt der nicht rivalisierenden Nutzung: Sie können in der Regel nahezu unendlich oft von vielen Akteuren gleichzeitig genutzt werden, ohne dass sie sich aufbrauchen; sie unterliegen weder einer Verknappung noch einer Abnutzung. Deshalb kann eine "Übernutzung" wie bei klassischen Allmendegütern (etwa einer gemeinschaftlich genutzten Weide) bei Daten nicht geschehen. Bei der Diskussion um Dateneigentum oder data ownership geht es daher vor allem um Zugangs- und Verfügungsrechte über Daten.[4]
Im Folgenden werde ich vier Regulierungsformen untersuchen, die Daten als privates Gut, als öffentliches Gut, als Allmendegut und mittels einer Treuhandschaft verwaltet und bewirtschaftet sehen wollen. Dabei werde ich jeweils der Frage nachgehen, wie die informationelle Selbstbestimmung der Datengebenden gewahrt und ob ein Brückenschlag zwischen regulierter kommerzieller Nutzung und der Nutzbarmachung für das Gemeinwohl ermöglicht werden kann.
Daten als privates Gut
Idee und Ansatz
Der Informatiker und Internetpionier Jaron Lanier schlägt eine "humanistische Informationsökonomie" vor, die darauf beruht, die menschliche Herkunft personenbezogener Daten nicht als weniger wertvoll als ihre algorithmische Analyse und Weiterverwertung zu erachten.[5] Da jede Art von automatisierter Datenanalyse auf zuvor von Menschen erzeugten Daten angewiesen sei, liege genau darin die eigentliche Wertquelle der digitalen Welt. Online-Übersetzungsdienste beispielsweise basierten auf zuvor von Menschen geleisteten Übersetzungen für das maschinelle Lernen. Diese Arbeit tauche jedoch in keiner Unternehmensbilanz auf und würde auch aus der ökonomischen Gesamtrechnung ausgeschlossen. Diese "Entrechtung" und Entwertung sei nur zu stoppen, wenn die Menschen nicht länger nur als Konsumenten wahrgenommen, sondern zu Akteuren der Datenökonomie, also zu "Prosumenten" (Hybridform zwischen Produzenten und Konsumenten) würden, so Lanier. Der Faktor Mensch als Urheber von Daten müsse explizit in die ökonomische Wertschöpfungskette aufgenommen und entlohnt werden. Es dürfe nicht sein, dass eine riesige Anzahl von Menschen über soziale Netzwerke und Suchmaschinen eine enorme Menge wertvoller Informationen produziere, der Löwenanteil des Wertes aber an die Unternehmen gehe, die die Daten sammeln, aggregieren und weiterverarbeiten.
Lanier plädiert daher für ein Mikrozahlungssystem: Jeder aktiv oder passiv generierte Beitrag in einer digitalen Datenbank oder einem Netzwerk soll in Form eines Kleinstbetrages entlohnt werden. Über die Speicherung der Datenherkunft, die Verknüpfung der Daten mit ihrer Urheberin oder ihrem Urheber, solle jeder Zugriff und jede Nutzung der Daten registriert und ein entsprechender Betrag vom Datennutzenden automatisch auf ein digitales Konto des Datengebenden transferiert werden. Die Entscheidung, welche Daten man zu welchem Preis am Markt anbiete, solle jede und jeder für sich selbst festlegen. Der Markt regele Angebot und Nachfrage. Die Überwachung der Regeleinhaltung und die Sanktionierung etwaiger Verstöße könne der Staat übernehmen. Zugleich fordert Lanier eine Abkehr von der Umsonstmentalität. Die Zeit, in der gefordert wurde, im Internet müsse jegliche Information frei verfügbar sein, sei Geschichte.
Die Etablierung eines Marktes für Daten beziehungsweise einer solchen "Pay-per-View-Wirtschaft" bedeutet, dass Lanier Daten letztlich als privates Gut konzipiert. Das erklärte Ziel ist dabei die Festschreibung eines Hoheitsrechts jeder Person über ihre persönlichen Daten. Er verspricht sich davon mehr Selbstbestimmung und ein Empowerment der Datengebenden sowie einen Abbau von Machtasymmetrien.
Würdigung und Kritik
Lanier sieht im Markt nach wie vor die zentrale Koordinationsinstanz, fordert innerhalb dieses Systems aber eine Beteiligung der Datenurheberinnen und -urheber. Ihren Beitrag möchte er allerdings nicht nur ideell wertgeschätzt, sondern auch materiell in die Wertschöpfungskette aufgenommen sehen. Er konzipiert somit eine Art Angebot- und Nachfragemodell für persönliche Daten und suggeriert, die individuellen Nutzerinnen und Nutzer könnten dadurch Marktmacht erlangen.
Insgesamt bleibt Lanier allerdings im Ungefähren. Sollte es jeweils Einzelentscheidungen zur Datenfreigabe geben, erscheint dies nicht zu Ende gedacht. Eine ständige Fall-zu-Fall-Entscheidung über die Datenfreigabe würde rasch zu Überforderung führen: Beim Aufruf einer einzigen Website werden heute unter anderem durch Cookies 50 bis 100 Verbindungen zu Internetdomains von Dritten hergestellt.[6] Laniers Prosument müsste mit jedem dieser Datenverwerter in Preisverhandlungen treten. Und selbst wenn man die Aushandlung durch ein Daten-Clearinghouse automatisieren würde, indem man seine Präferenzen angibt, mit wem man zu welchem Preis Daten gegen Geld zu teilen bereit wäre, würden dadurch hohe Transaktionskosten entstehen. Zudem ist zweifelhaft, ob die Nutzerinnen und Nutzer tatsächlich bargaining power erhalten würden, denn die Asymmetrie der Marktmacht bleibt bestehen – die Verhandlungsmacht der Plattform wäre noch immer wesentlich größer.[7]
Lanier berücksichtigt zudem zu wenig, dass die Wertschöpfung der Daten im Aggregieren und Auswerten der Daten liegt, nicht aber in einem individuellen, einzelnen Datum. Auch in sozialpolitischer Hinsicht ist sein Modell zweifelhaft: Mikrozahlungen könnten gerade finanzschwache Nutzerinnen und Nutzer dazu verleiten, einer unethischen Datennutzung durch Dritte zuzustimmen oder große Anteile ihres täglichen Lebens tracken zu lassen. Datenschutz sollte aber nicht von finanziellen Möglichkeiten abhängen. Überdies werden viele Datengebende den Wert ihrer Daten möglicherweise überschätzen – und die Konsequenzen, die eine Datenfreigabe für sie hat, eher unterschätzen. Berechnungen zufolge würden nur Bruchteile von Centbeträgen für die Preisgabe einzelner Daten fällig. Selbst wenn man den (Werbeeinnahmen-)Umsatz der Unternehmen auf alle Nutzerinnen und Nutzer umlegte, ergäben sich etwa bei Facebook nur acht Euro pro Jahr, bei Google etwa 150 Euro – abzüglich der Unterhaltskosten für die Plattform.[8]
Es stellen sich weitere offene Fragen zur Operabilität. Dass mit der Abrechnungsinfrastruktur für die Mikrozahlungen ein gigantisches Überwachungsnetzwerk orwellschen Ausmaßes aufgebaut würde, negiert Lanier. Zuletzt stellt sich die Frage, wie er die Aufsichts-, Kontroll- und Sanktionskompetenz, die er dem Staat zuspricht, umgesetzt sehen wollte. Denn sein Modell ist rein zivilrechtlich zwischen Datenverkäufer und Datenkäufer angelegt. Offensichtlich hat Lanier nur demokratische Staaten im Sinn, nicht aber autoritäre oder korrupte, die aus dem Datenmarkt Renten abschöpfen oder ihn zu Hyperüberwachung und Repression nutzen könnten. Auch wenn positiv hervorzuheben ist, dass Lanier den Beitrag der Datenurheber explizit anerkennt, erweist sich sein Datenmarktmodell insgesamt als unzulänglich, würde es doch eine ganze Reihe nicht intendierter Folgeprobleme aufwerfen.
Daten als öffentliches Gut
Idee und Ansatz
Das Gegenmodell zu dem von Lanier propagierten Datenmarkt bildet der Ansatz des Publizisten Evgeny Morozov, der Daten als öffentliches Gut konzipiert sehen will.[9] Datengetriebene Technologie berge sowohl Gefahren als auch Potenziale für die Gesellschaft. Menschliches Verhalten in Echtzeit zu erfassen und Profile zu speichern, könne richtig eingesetzt zu effizienterem Ressourceneinsatz, Nachhaltigkeit und entsprechenden Innovationen beitragen. Morozovs Anliegen ist daher keine Technologiekritik, sondern eine politökonomische Kritik des "datenorientierten Kapitalismus", der auf "Datenextraktivismus" basiere.
Morozov plädiert daher dafür, die bislang von Unternehmen gesammelten Daten zu vergesellschaften und als Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge zu verstehen: Die Daten müssten von der marktwirtschaftlichen Dynamik abgekoppelt, die gewerbliche Datensammlung eingedämmt werden. Staatlich reguliert könnten Teile der in den digitalen Profilen gespeicherten Daten in anonymisierter Form von öffentlichen Stellen (Städten, Gemeinden, städtischen Versorgungsunternehmen) genutzt werden, um Dienstleistungsangebote wie etwa die Taktung des öffentlichen Nahverkehrs effektiver an den Bedarf der Bevölkerung anzupassen. Auch andere Dienstleistungen in Verkehr, Bildung, Energieversorgung und Gesundheit könnten auf diese Weise effizienter, innovativer und nützlicher gestaltet werden. Private Unternehmen könnten weiterhin personalisierte Dienstleistungen anbieten, sofern sie für die Datennutzung bezahlten. Die dafür notwendigen Datenbanken könnten auf kommunaler, nationaler oder sogar übernationaler Ebene angesiedelt sein: "All of the nation’s data, for example, could accrue to a national data fund, co-owned by all citizens (or, in the case of a pan-European fund, by Europeans). Whoever wants to build new services on top of that data would need to do so in a competitive, heavily regulated environment while paying a corresponding share of their profits for using it."[10]
Der breitere Zugang zu personenbezogenen, aber anonymisierten Daten könne auch das gegenwärtige Problem der Monopolstellung einiger weniger großer Unternehmen lösen, denn innovative Start-ups könnten durch Zugang zu den Daten konkurrenzfähige Alternativen aufbauen. Morozovs Vision ist also eine öffentliche, gemeinwohlorientierte Nutzung von Daten mithilfe staatlicher Regularien zur Koordination des Datenzugriffs und zum Schutz vor Missbrauch. Finanziert werden solle ein solches System zudem durch Steuern beziehungsweise eine Pflichtabgabe aller Bürgerinnen und Bürger. Werbung und die kommerzielle Datensammlung solle jedenfalls nicht länger das indirekte Zahlungsmittel für die Nutzung solcher Dienste sein.
Würdigung und Kritik
Bei Morozovs Modell von Daten als öffentlichem Gut handelt es sich letztlich um eine Verstaatlichung von Daten. Unklar bleibt, ob er diese Vergesellschaftung auf kommunaler, regionaler, nationaler oder gar supranationaler Ebene angesiedelt sehen will – oder eventuell sektoral organisiert, etwa für Energie- oder Verkehrsdaten. Positiv wäre sicherlich, dass kleinen und mittleren Unternehmen dadurch gleiche Zugangschancen eröffnet würden. Eine zentralisierte öffentliche Datenverwaltung kann zudem sozialverträgliche und nachhaltig orientierte Forschung und Innovation erleichtern.
Wie aber wäre mit Mehrfachnutzungen von Daten umzugehen? Denn aus jeder Datenanalytik erwächst gewissermaßen eine neue "Datenschicht" – soll diese ebenfalls in den staatlichen Datenpool eingebracht oder darf diese privatwirtschaftlich genutzt werden? Morozovs Vorschlag impliziert unausgesprochen ein Zentralisierungsmodell, das real durch eine zentrale Datenbank oder virtuell durch Verknüpfung verschiedener dezentraler Datenbanken ausgestaltet werden kann. In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob die Bürgerinnen und Bürger der Datenerfassung überhaupt noch zustimmen dürften. Wie wäre es mit der Freiwilligkeit und der Wahrung informationeller Selbstbestimmung bestellt? Ist jeweils eine Zweckbindung gegeben, oder sollten Bürgerinnen und Bürger breit einwilligen, ohne über die vielfältigen Nutzungszwecke aufgeklärt zu werden? Dies wäre ein erheblicher Rückschritt im Datenschutz. Letztlich wäre damit eine Bringschuld der Bürgerinnen und Bürger sowie eine Sozialpflichtigkeit ihrer Daten festgeschrieben. Gewisse Abhilfe könnte durch eine Pseudonymisierung und Verschlüsselung der Daten geschaffen werden. Doch sollte die staatliche Datensammlung wirklich auf Online-Dienstleistungen ausgeweitet werden?
Zudem besteht die Gefahr des Missbrauchs durch staatliche Überwachung und Repression bis hin zum völligen Verlust der Privatsphäre. Schließlich stellt sich auch hier die Frage der Regulation: Durch welchen Staat oder staatliche Agentur sollte diese erfolgen? Kann der Nationalstaat hier überhaupt noch agieren, wenn es um transnationale Datenflüsse geht? Und wer entscheidet über die Datenfreigabe für wen, nach welchen demokratisch festgelegten und gegebenenfalls gerichtlich anfechtbaren Kriterien? Welche Sanktionsmöglichkeiten sollte es bei Missbrauch geben? Und soll die Verstaatlichung der Daten erst ab einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen oder rückwirkend? Wird damit in Eigentumsbestände von Unternehmen eingegriffen, und wieweit ist dies verfassungsrechtlich zulässig? Auf alle diese Fragen gibt Morozov in seinen Schriften keine Auskunft.
Daten als Allmende
Idee und Ansatz
Das dritte hier vorgestellte Modell, wie Daten alternativ bewirtschaftet und genutzt werden könnten, ist an die Allmendekonzeption von Elinor Ostrom angelehnt. Die Politikwissenschaftlerin Ostrom, die für die Erforschung von Gemeingütern 2009 als bisher einzige Frau den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt, geht es um eine Perspektive "jenseits von Staat und Markt".[11] Sie untersuchte, wie sich natürliche Ressourcen wie Wälder und Weiden nachhaltig bewirtschaften und im Sinne des Gemeinwohls nutzen lassen. Dabei interessierte sie sich für Handlungsformen, wie sich Gruppen organisieren können, um langfristig gemeinsame Vorteile zu realisieren und negative Folgen individueller Nutzenmaximierung zu verhindern.
Ostrom entdeckte solche Formen von Selbstorganisation, Entscheidungsfindung und Selbstverwaltung in gemeinschaftlich ausgehandelten Zugangs- und Nutzungsregeln, mittels derer sich Interessenkonflikte entschärfen lassen. Sie widersprach damit der gängigen Annahme, dass Allmendeprobleme nur durch eine Privatisierung von Ressourcen oder durch Kontrolle eines Zentralstaats gelöst werden könnten, und wies nach, dass sich gemeinschaftlich genutzte Güter durch von unten organisierte und institutionalisierte lokale Kooperation der Betroffenen in angemessener, fairer und nachhaltiger Form bereitstellen und aneignen lassen. Aus der Betrachtung von gelungenen und gescheiterten Lösungen leitete sie schließlich die folgenden acht "Design-Prinzipien" für eine erfolgreiche Allmendenführung ab.
Abgrenzbarkeit: Es gibt eindeutige und akzeptierte Grenzen zwischen legitimen Nutzern und nicht Nutzungsberechtigten sowie zwischen einer bestimmten Gemeinressource und ihrer Umwelt.
Kongruenz mit lokalen Bedingungen: Die Regeln für die Aneignung und Bereitstellung einer Ressource entsprechen den örtlichen und kulturellen Bedingungen. Die Verteilung der Kosten erfolgt proportional zur Verteilung des Nutzens.
Gemeinschaftliche Entscheidungen: Die an der Allmendenutzung Beteiligten können die Nutzungsregeln mitgestalten.
Monitoring: Es gibt ausreichend Kontrolle über die Nutzung und den Allgemeinzustand der Allmenderessource, um Regelverstößen vorbeugen zu können. Personen, die mit der Überwachung betraut sind, sind rechenschaftspflichtig.
Abgestufte Sanktionen: Verhängte Sanktionen sollen in einem vernünftigen Verhältnis zum verursachten Problem stehen. Die Bestrafung von Regelverletzungen beginnt auf niedrigem Niveau und verschärft sich, wenn Nutzer eine Regel mehrfach verletzen.
Konfliktlösungsmechanismen: Festgelegte lokale Arenen sollen helfen, Konflikte zwischen Nutzern sowie zwischen Nutzern und Behörden möglichst rasch, günstig und direkt beizulegen.
Anerkennung von Rechten: Die Regierung räumt Nutzern ein Mindestmaß an Rechten ein, sich eigene Regeln zu setzen.
Eingebettete und verschachtelte Institutionen: Ist eine Gemeinressource eng mit einem sie umgebenden, großen Ressourcensystem verbunden, werden die Governance-Strukturen auf mehreren, ineinandergreifenden Ebenen miteinander verschachtelt (polycentric governance).
Ostrom beschäftigte sich zwar vor allem mit natürlichen, ökologischer Nachhaltigkeit bedürfenden Ressourcen beziehungsweise Allmendegütern. Gleichwohl können aber zumindest einige ihrer Prinzipien auch auf die Verwaltung und Bewirtschaftung von Daten angewandt werden. Als praktische Anschauungsbeispiele bestehender digitaler Allmenden dienen insbesondere Open-Source-Software, Creative-Commons-Lizenzen und digitale Commons wie etwa die Online-Enzyklopädie Wikipedia oder das Online-Kartendienst- und Navigationssystem Open Street Map.
Würdigung und Kritik
Im Gegensatz zum Marktmodell von Lanier und dem Staatsmodell von Morozov verortet das Modell der Allmende Daten als Gemeingut. Zentraler Akteur ist damit die Gemeinschaft. Damit wird ein Modell nahegelegt, wie es etwa durch Kooperativen und Genossenschaften bei materiellen Gütern bereits seit Langem etabliert ist. Positiv an diesem Modell erscheint zunächst die Transparenz über die Datennutzung und die potenzielle Beteiligung aller Datengebenden über die Festlegung von Regeln, mittels derer die Daten kollektiv bewirtschaftet werden. Die Daten – und die Erträge daraus – blieben zumindest anteilig an ihre Erzeuger beziehungsweise deren digitale Identitäten gekoppelt. Die Gemeinschaftsmitglieder könnten Ansprüche gegenüber den Datenverwertern kollektiv geltend machen, was ihnen größere Verhandlungsmacht sichern würde. Auch die Verwerter könnten gegebenenfalls Teil der Gemeinschaft sein – oder aber als externe Dienstleister für die Gemeinschaft auftreten. Da alle Kompetenzen von der Entscheidung über die Datenaufnahme bis zur Festlegung legitimer Verwendungszwecke idealtypischerweise in der Hand der Gemeinschaft liegen, wäre die Kontrolle der Datengebenden und ihre wirkungsvolle Selbst- und Mitbestimmung in der Datenökonomie gesichert.
Fragen stellen sich allerdings dahingehend, inwieweit Ostroms Modell von natürlichen Ressourcen auf immaterielle, nicht rivalisierende Güter wie Daten übertragen werden kann. Schon das erste Designprinzip Ostroms, die Abgrenzbarkeit, ist bei Daten schwer zu realisieren. Wer gehört zur Gemeinschaft, wer darf ihr beitreten und wer nicht? Sind die Datengebenden auch Datennutzende oder gehören sie zu getrennten Kategorien? Wie soll das gemeinschaftliche Handeln zum gemeinwohlverträglichen und nachhaltigen Nutzen der Daten praktisch umgesetzt werden? Und welcher Staat autorisiert die Gemeinschaft? Die bereits bei Lanier und Morozov angesprochenen Probleme von Staatlichkeit und Territorialität bei transnationalen Datenflüssen gelten auch hier. Zudem sind bei großen Gemeinschaften ein Repräsentationsmodell und die Delegation von Entscheidungen nötig. Wie diese demokratisch ausgestaltet werden sollten, bleibt offen.
Daten-Treuhandschaft
Idee und Ansatz
Das vierte Modell, das in der Datenökonomie Anwendung finden könnte, ist das einer Treuhandschaft. Ein Treuhandverhältnis liegt vor, wenn vertraglich oder kraft Gesetzes die Ausübung oder Verwaltung bestimmter Rechte (eines Treugutes) vom Treugeber "zu treuen Händen" an den Treunehmer (Treuhänder) übertragen wird. Hier lässt sich an Überlegungen des Wissenschaftsforschers David E. Winickoff anknüpfen, der in Bezug auf genomische Biobanken – bei denen sensible Datenschutzfragen mit der wissenschaftlichen Nutzung der Daten in Einklang zu bringen sind – ein Treuhandmodell entwickelt und hierfür als Rechtsform eine gemeinnützige Einrichtung (charitable trust) vorgeschlagen hat.[12]
Winickoff setzte sich intensiv mit der Frage auseinander, wie Verfügungsrechte an gespendeten Biomaterialien (wie Gewebe, Blut, DNA) und an dazugehörigen Daten (aus Patientenakten, Gen- und Analysedaten) geregelt werden sollten. Dabei ging es insbesondere um Zugangsfragen, ethische Aspekte der informierten Zustimmung zu Forschungen sowie um mögliche Gewinne und deren Verteilung. Er kam zu dem Schluss, dass durch den Aufbau einer treuhänderischen Einrichtung eine angemessene Regulierung von Biobanken erreicht werden könne, um den Schutz der Interessen der Daten- und Materialspender zu garantieren. Spender könnten ihre Verfügungsinteressen über das Biomaterial und die Daten an diese Einrichtung übertragen, die damit wiederum die treuhänderischen Pflichten zur Aufbewahrung und Nutzung übernehme. Gemeinnützigkeit weise dabei als Organisationsform eine Reihe von ethischen, rechtlichen und wissenschaftlichen Vorteilen auf und sichere Vertrauen und langfristige Beteiligung. Durch die beratende Beteiligung der Spendergruppe in Gremien und die Einrichtung einer Ethikkommission solle die Wahrung der Spenderinteressen zusätzlich gesichert werden. Das Treuhandmodell könne Altruismus, gute Governance und öffentlichen Nutzen für das Gemeinwohl miteinander vereinbaren und damit sowohl strikte Regeln zum Datenschutz implementieren wie auch den wissenschaftlichen Wert der Biobank sicherstellen.
Dass das Modell einer Treuhandschaft auch auf die Verwaltung und Bewirtschaftung von Daten übertragbar ist, zeigen Zertifizierungsprozesse von deutschen Datenschutzbehörden zum Spenderschutz durch Datentreuhänderschaft: Demnach müsse der Treuhänder rechtlich und finanziell unabhängig sowie weisungsungebunden sein. Er müsse der Schweigepflicht und dem Forschungsgeheimnis unterliegen und dürfe keinesfalls von der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette abhängig sein. Eine Datentreuhand könne nur dann unabhängig agieren, wenn sie ausschließlich gemeinwohlorientiert orientiert sei.[13] Auch in einem Report des britischen Unterhauses wurde jüngst für die Errichtung von "Data Trusts" im Rahmen eines "Center for Data Ethics & Innovation" plädiert. Regierung und Industrie sollten ein Programm zur Entwicklung von Datentreuhändern aufbauen, durch die Dateninhaber und Datennutzer auf "faire, sichere und gerechte Weise" Daten austauschen könnten. Durch eine derartige Regulierung solle gewährleistet werden, dass die Stimmen der interessierten Parteien vertreten sind, und der Wert, der aus diesen Daten abgeleitet werden kann, gerecht aufgeteilt wird.[14]
Würdigung und Kritik
Das Governance-Modell der gemeinnützigen Datentreuhandschaft basiert auf der Vorstellung einer unabhängigen dritten Instanz, die Hoheitsrechte über Daten ausübt, sowie von delegierter Kontrolle der Datengebenden, die gleichwohl mit Partizipationselementen ausgestattet sind. Positiv an der Übertragung von Vollmachten auf einen unabhängigen Treuhänder ist die Entlastung der Datengebenden, die aber durch ein Widerrufsrecht dennoch gewisse Kontrolle über ihre Daten behalten. In gewissem Umfang wäre somit eine Zweckbindung der Daten gesichert, und durch das Transparenzgebot über die Nutzung durch Dritte verbliebe den Datengebenden ein Entscheidungsspielraum darüber, welche Unternehmen zu welchen Zwecken auf welche persönlichen Daten zugreifen dürfen. Dies würde den Stellenwert des Datenschutzes deutlich erhöhen.
Auch die Repräsentations- und Partizipationsmöglichkeiten der Datengebenden über Beiräte sind positiv zu vermerken. Allerdings bleibt wie bei den anderen Modellen offen, welche staatliche Stelle genau den Treuhänder autorisieren würde. Ebenso wäre zu definieren, auf welcher sektoralen oder verwaltungspolitischen Ebene die Treuhand angesiedelt werden soll. Schließlich bliebe zu klären, wie sich eine Beteiligung und Teilhabe der Datengebenden demokratisch und gegebenenfalls transnational realisieren ließe. Weitere wichtige Fragen münden schließlich in die alte Frage "Quis custodiet ipsos custodes?" – "Wer aber überwacht die Wächter?": Wie kann der Treuhänder effektiv kontrolliert und rechenschaftspflichtig werden, sodass dieser keine partikularen Eigeninteressen verfolgt, in Interessenkonflikte gerät und damit seine Vertrauenswürdigkeit gefährdet? Wie kann die Unabhängigkeit des Treuhänders gegenüber staatlichen oder ökonomischen Instanzen langfristig gesichert werden? Und wie kann die Gemeinwohlorientierung der Datennutzung gewährleistet werden?
Fazit
Die vier vorgestellten politökonomischen Regulierungsmodelle für die Datenökonomie liefern spannende konzeptionelle Ideen, bisher ist aber keines so ausgereift, dass es bereits unmittelbar anwendbare Lösungen bereitstellt. Als Alternativen zu den bisherigen Praktiken und Geschäftsmodellen der Plattformökonomien und deren inhärenten Machtasymmetrien sind sie allerdings durchaus bedenkenswert.
Insgesamt sind die vier Governance-Modelle eher als Idealtypen oder regulative Ideen zu verstehen, nicht als "reine" Formen. In der Wirklichkeit sind Mischformen denkbar, sowohl als Hybridformen zwischen privaten und öffentlichen Gütern oder etwa zwischen Allmendegut und Treuhandschaft. Diese bedürfen weiterer Diskussion und Konkretisierung. Es sind klare und nachvollziehbare Regeln für die Sammlung, den Zugriff und die Verwendung von Daten nötig, dies erfordert aber kein Eigentumsrecht an Daten.[15] Wichtig ist ein fairer Interessenausgleich zwischen Datengebenden und Datenverwertenden. Hierzu ist insbesondere die Vertretung der schwachen Interessen der individuellen Datengebenden, deren Organisierung und Repräsentation schwerlich umzusetzen ist, gegenüber machtstarken Verwertungsinteressen vonnöten. Solche Interessen könnten von Verbraucherschutzorganisationen und Datenschutzbehörden wahrgenommen werden, wenn sie mit entsprechenden Ressourcen und Mandaten ausgestattet würden.
Auch die Vertretung der normativen Ansprüche an einen ethischen, fairen und gerechten Umgang mit den Daten und eine Orientierung der Datenverwertung an einer nachhaltigen, sozial- und umweltverträglichen, insgesamt menschenwürdigen Innovation statt ausschließlicher Profitorientierung ist eine wichtige Aufgabe. Diese kann nur mit starker staatlicher Regulation und der Einbindung einer lebendigen und pluralen Zivilgesellschaft erreicht werden und sollte daher nicht allein den Marktkräften und der Selbstregulierung von Unternehmen überlassen werden.
Die Komplexität der Datenaggregation und -analyse wird mit der Ausbreitung des Internets der Dinge, der Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz und weiteren Digitalisierungsschüben noch zunehmen. Sowohl eine Zentralisierung der Datenhaltung (angelegt bei Morozov und Winickoff) als auch eine Dezentralisierung (inhärent bei Ostrom) hätte jeweils Vor-und Nachteile, die von Fall zu Fall abzuwägen sind. Ebenso bedürfen die Finanzierungsaspekte bei den vorgestellten Datenmodellen weiterer Ausarbeitung. Zu erinnern ist zudem an die janusköpfige Rolle des Staates, der ein Garant der Datenverwendung für Gemeinwohl und Gemeinsinn sein kann, sich unter anderen Umständen aber auch in einen "Big Brother" verwandeln könnte. Der Verlust der Steuerungskapazität des Nationalstaats aufgrund der transnationalen Datenflüsse sollte zur Entwicklung supranationaler Lösungsstrategien auffordern. Die Europäische Union wird hierbei eine wichtige Gestaltungsmacht[16] für eine Regulierung der Datenökonomien bleiben.
Fussnoten
- Vgl. Wolfie Christl, Corporate Surveillance in Everyday Life, Wien 2017, http://crackedlabs.org«. ↩
- Angela Merkel, Rede beim Jahrestreffen des World Economic Forum, Davos 24.1.2018.↩
- Vgl. Johanna Jöns, Daten als Handelsware, Hamburg 2016, S. 66.↩
- Vgl. Wolfgang Kerber/Louisa Specht, Datenrechte. Eine rechts- und sozialwissenschaftliche Analyse im Vergleich Deutschland–USA, 2017, http://www.abida.de/sites/default/files/ABIDA_Gutachten_Datenrechte.pdf«.↩
- Zum Folgenden vgl. Jaron Lanier, Wem gehört die Zukunft?, Hamburg 2014; ders., Wenn Träume erwachsen werden, Hamburg 2015.↩
- Vgl. Justin Brookman et al., Cross-Device Tracking: Measurement and Disclosures, in: Proceedings on Privacy Enhancing Technologies 2/2017, S. 133–148.↩
- Vgl. Nicolas Agar, How to be Human in the Digital Economy, Cambridge 2019, S. 73–79.↩
- Vgl. Jan Schwenkenbecher, Eine Mail-Adresse bringt 0,75 Cent, in: Süddeutsche Zeitung, 2.11.2018, S. 16.↩
- Zum Folgenden vgl. Evgeny Morozov, Eine humane Gesellschaft durch digitale Technologien?, Essen 2015, S. 29; ders., "Ich habe doch nichts zu verbergen", in: APuZ 11–12/2015, S. 3–7; ders., Digitale Abhängigkeit. Die Menschen müssen die Daten der Internet-Giganten zurückerobern, in: Süddeutsche Zeitung, 19.1.2018.↩
- Evgeny Morozov, To Tackle Google’s Power, Regulators Have to Go After Its Ownership of Data, in: The Guardian, 2.7.2017.↩
- Zum Folgenden vgl. Elinor Ostrom, Die Verfassung der Allmende. Jenseits von Staat und Markt, Tübingen 1999; dies./Silke Helfrich, Was mehr wird, wenn wir teilen, München 2011; Volker Stollorz, Elinor Ostrom und die Wiederentdeckung der Allmende, in: APuZ 28–30/2011, S. 3–8.↩
- Zum Folgenden vgl. David E. Winickoff/Richard N. Winickoff, The Charitable Trust as a Model for Genomic Biobanks, in: New England Journal of Medicine 12/2003, S. 1180–1184; David E. Winickoff/Larissa B. Neumann, Towards a Social Contract for Genomics: Property and the Public in the "Biotrust" Model, in: Genomics, Society and Policy 3/2005, S. 8–21.↩
- Vgl. Wolfgang Zimmermann, Spenderschutz durch Datentreuhänderschaft, Beitrag zur Tagung "Die datenschutzgerechte Auditierung von Biobanken", Kiel 4. 7. 2008, http://www.datenschutzzentrum.de/projekte/bdc-audit«.↩
- Vgl. UK House of Commons Science and Technology Committee, Algorithms in Decision-Making, HC 351, 23.5.2018, S. 15f.↩
- Vgl. Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, Argumente gegen ein "Dateneigentum", 1.8.2017, http://www.ip.mpg.de/fileadmin/ipmpg/content/forschung/Argumentarium_Dateneigentum_de.pdf«.↩
- Vgl. Ingrid Schneider, Bringing the State Back in: Big Data-Based Capitalism, Disruption, and Novel Regulatory Approaches in Europe, in: dies. et al. (Hrsg.), The Politics of Big Data: Big Data, Big Brother?, New York 2017, S. 129–175.↩
Ingrid Schneider ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg, dort ist sie am Fachbereich Informatik im Arbeitsbereich "Ethik in der Informationstechnologie" tätig.
Der Essay „Regulierungsansätze in der Datenökonomie“ von Ingrid Schneider für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de steht unter CC-Lizenz: BY-NC-ND 3.0