In der Debatte über mögliche Energie-Szenarien für die Zukunft ging es hauptsächlich um die Frage, wie viel Zeit man benötigt, um den endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie realisieren zu können. Trotz des angeblichen Zeitmangels sind bis heute keine nennenswerten Maßnahmen der Politik zur Energiewende erkennbar. Aus diesem Grund veröffentliche ich hier ein Interview das ich mit mit Volker Quaschning führte.
Zögerlicher Umbau der Energieinfrastruktur
Als sich im Juni 1992 in Rio die Welt zur UN-Klimakonferenz versammelte, war den Forschern und Politikern die Dringlichkeit zum Handeln durchaus bewusst. Die Erwärmung der Atmosphäre wurde als Bedrohung für die Welt erkannt. Selbst eine verhältnismäßig geringe Erhöhung der Weltdurchschnittstemperatur kann in vielen Regionen der Erde dramatische Auswirkungen haben. Die Politik versprach, dem Thema oberste Priorität zu geben. Ebenso wurde „Ökologische Nachhaltigkeit“ als Millenniumsziel definiert.
Seit 1995 treffen sich die Umweltminister der UN-Staaten einmal jährlich um zu beraten, wie es weitergehen soll. In tropisch heißen Nächten mit müden Augen präsentieren sie sich dabei jedes Jahr aufs neue als Klimaretter. Handfeste Ergebnisse unterschreiten dabei in der Regel die Wahrnehmungsgrenze.
Vom 14. bis 15. Januar 2012 hat die zweite Versammlung der Mitglieder der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (IRENA) in Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate (VAE), stattgefunden. Im Anschluss an die IRENA-Versammlung fand vom 16. bis 19. Januar 2012 das World Future Energy Summit (WFES) in Abu Dhabi statt. Mit der Teilnahme von Chinas Premierminister Wen Jiabao, zahlreichen Energieministern und über 26.000 Besuchern und 3000 Delegierten aus rund 140 Nationen stand der Gipfel in diesem Jahr ganz im Zeichen des kommenden UN-Jahres für “Nachhaltige Energie für alle”, für das UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Abu Dhabi den Startschuss gab. Die UN-Initiative will bis zum Jahr 2030 neben einem Zugang zu modernen Energiedienstleistungen für alle Menschen eine Verdopplung des Anteils der erneuerbaren Energien im globalen Energiemix erreichen. (Quelle: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit)
20 Jahre nach der UN-Klimakonferenz in Rio de Janeiro wirken die Bemühungen der Bundesregierung immer noch wie aus den Anfangstagen: unbeholfen, inkonsequent und langwierig. Die Lobbyarbeit der Großkonzerne dagegen machte bisher einen durchaus effektiven Eindruck. Der zögerlichen Umbau der nationalen Energieinfrastruktur verschleppte sich immer mehr.
Am 11. März 2012 jährt sich die Reaktorkatastrophe von Fukushima zum ersten Mal. Der propagierte Traum vom risikolosen und billigen Strom war ausgeträumt. Auch die PR der Stromriesen verlor nun endgültig ihre Glaubwürdigkeit. In Zusammenhang mit den Reaktorunfällen in Japan ist es in der Bundesregierung zu einem erstaunlichen Politikwechsel gekommen, der unter dem Sammelbegriff „Energiewende“ die Runde macht.
Aus diesem Grund habe ich Herrn Prof. Dr. Quaschning nach seinen Ansichten gefragt. Er ist Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und lehrt dort seit 2004 in dem Fachbereich Umwelttechnik / Regenerative Energien.
Interview mit Prof. Dr. Volker Quaschning
René Buchfink: Herr Prof. Quaschning sie sagen 100% Erneuerbare Energien bis 2050 sind möglich. Dies erscheint in Hinblick auf die Klima- sowie Ressourcenproblematik unumgänglich. Wie bewerten Sie die Bemühungen der Bundesregierung, als ausreichend oder an welchen Stellen wünschen Sie sich konkrete Verbesserungen?
Prof. Dr. Volker Quaschning: Die neuesten Ergebnisse der Klimaforscher sagen, dass wir sogar bis 2040 unsere Energieversorgung komplett auf regenerative Energien umstellen müssen, wenn wir nicht extrem riskante Klimaveränderungen provozieren wollen. Prinzipiell gehen die Veränderungen im Energiesenktor in Deutschland zwar in die richtige Richtung, für einen wirklichen Klimaschutz ist das Tempo aber viel zu gering. Wir müssen den Umbau noch um den Faktor zwei bis drei beschleunigen, damit wir überhaupt eine Chance haben, die Klimaschutzziele zu erreichen.
Hier hat sich seit Fukushima praktisch nichts Entscheidendes getan. Wir brauchen dringend eine Vielzahl an beherzten Maßnahmen. Stattdessen diskutieren wir gerade, den Ausbau der Solarenergie wieder stark zu verlangsamen. Die angebliche Energiewende hat unsere Regierung durchaus clever verkauft. Das war es dann aber auch schon. Die Energiewende ist kein Selbstläufer und wir brauchen noch massive Anstrengungen und auch Aufklärung, um die gesamte Bevölkerung dabei mitzunehmen. Viele haben den Eindruck, die Energiewende sei schon fast geschafft, dabei fängt sie jetzt gerade erst richtig an.
René Buchfink: Die Verflechtungen zwischen Politik und den großen Energieversorgern, wie z.B. zwischen dem Land Baden-Württemberg und EnBW, sind traditionell sehr eng. Energieriesen wie EON, Vattenfall etc. entdecken die „Regenerativen Energien“ und wollen von der “Energiewende” profitieren, Stichwort Offshore, Gaskraftwerke bzw. Braunkohlekraftwerke, was halten sie davon?
Prof. Dr. Volker Quaschning: Wollen wir mit der Energiewende ernst machen, müssen wir uns bald entscheiden, welche Kraftwerke wir haben wollen. Bauen wir Solar- und Windenergie im nötigen Tempo weiter aus, werden sich bereits in 10 Jahren keine Braunkohle- und Atomkraftwerke mehr ins Netz integrieren lassen. Bislang haben die großen Energieversorger die regenerativen Energien nicht wirklich ernst genommen. Daher haben sie auch vergleichsweise wenige regenerative Kraftwerke in ihrem Portfolio.
Inzwischen ist ihnen durchaus die Konkurrenzsituation bewusst geworden. Um ihre nicht mehr zukunftsfähigen Kohle- und Atomkraftwerke noch länger betreiben zu können, versuchen sie nun, mit aller Kraft den Ausbau der Solarenergie mit Hilfe der Politik deutlich zu reduzieren. Letztendlich werden die Energieriesen aber die Energiewende nicht verhindern können. Schaffen sie nicht baldmöglichst, die Energiewende bei ihrem Kraftwerkspark einzuleiten, könnte es in einigen Jahren den einen oder anderen großen Versorger nicht mehr geben. Da die öffentliche Hand an vielen Versorgern stark beteiligt ist, wäre das sehr schade um die damit verlorenen Steuergelder.
René Buchfink: Was halten sie von den Argumenten in Hinblick auf den Ausbau der Windenergiekraftanlagen, dass Stromleitungen von Norden nach Süden fehlen und die Netzinfrastruktur nicht ausreichend ist?
Prof. Dr. Volker Quaschning: Die Netze in Deutschland sind derzeit dafür ausgelegt, den Strom sternförmig von großen zentralen Kraftwerken zu den Verbrauchern zu transportieren. Stellen wir unsere Stromversorgung im Wesentlichen auf Photovoltaik- und Windkraftanlagen um, müssen auch die Netze angepasst werden. Für Photovoltaikanlagen sind es vor allem die Nieder- und Mittelspannungsnetze, da die Anlagen in der Nähe der Verbraucher stehen. Bauen wir die Offshore-Windenergie stark aus, brauchen wir lange Hochspannungsleitungen.
Wenn man die Energiewende will, muss man auch Leitungen zubauen. Wenn man aber einen intelligenten Versorgungsmix wählt, kann man die Zahl der Leitungen minimieren du trotzdem einen schnellen Zubau erreichen. Ich habe den Eindruck, dass sich viele gerne hinter den fehlenden Leitungen verstecken und den Ausbau nur halbherzig vorantreiben, um den Umbau der Energieversorgung damit auszubremsen.
René Buchfink: Lassen sie uns nun einen Blick in die Zukunft wagen. Wird eine dezentrale Energieversorgung das Modell der Zukunft oder wird es einige wenige Großerzeuger geben oder eine Mischung aus großen und kleinen Anlagen? Was präferieren Sie?
Prof. Dr. Volker Quaschning: Große zentrale fossile oder atomare Kraftwerke wird es in 30 Jahren nicht mehr geben. Stattdessen werden wir viele dezentrale Photovoltaik-, Windkraft-, Biomasse-, Geothermie- und Wasserkraftanlagen haben. Etliche zentrale Offshore-Windparks werden ebenfalls in dem Mix eine größere Rolle spielen.
Mit intelligenten Speichersystemen und einer Verknüpfung zwischen dem Strom- und dem Gasnetz lässt sich dann auch mit einem deutlich dezentraleren, vollkommen regenerativen Kraftwerkspark eine sichere und auch bezahlbare Energieversorgung aufbauen. Damit wären dann die nötigen Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Wahrung der Lebensgrundlagen für die künftigen Generationen eingeleitet.
Dieser Artikel erschien 2012 zuerst bei jacobjung.wordpress.com