Denklatenz

Das Magazin

Wie Open Source den Saatgutmarkt demokratisieren könnte

Erhaltet die Vielfalt!

Saatgut wird heute nicht mehr vom Bauern selbst gezüchtet, sondern von Unternehmen, die ihre Produkte patentieren lassen. Die Lizenzen sind teuer, die Nutzung ist restriktiv. Mehrere Initiativen versuchen jetzt die Züchtung mit einem Ansatz aus der Softwareentwicklung neu zu organisieren. Ein Interview mit Lisa Minkmar.

19. September 2016

von Lisa Minkmar

Redaktion: Was steckt hinter der Idee von „Open Source Saatgut“?
Minkmar: Zum einen ist es die Vorstellung, dass Pflanzenzüchtung und das dazugehörige Saatgut Gemeingut sind und nicht mit Eigentumsrechten belegt sein sollten. Und es geht darum, die Pflanzenvielfalt zu erhalten. Vor allem in der Landwirtschaft ist diese schon »stark zurückgegangen«. Das hat verschiedene Gründe. Ein wichtiger ist die Privatisierung der Züchtung durch geistige Eigentumsrechte. Um die Vielfalt zu erhalten, gibt es also jetzt die überlegung, das Saatgut, zumindest teilweise, wieder von Eigentumsrechten zu befreien.

International könnte es kleinbäuerliche Strukturen schützen, wenn man die Bauern von den Rechteinhabern unabhängig macht. Denn der Zugang zu Saatgut und das, was man damit machen darf, sind oft durch strenge Eigentumsrechte geregelt. Wenn man diese rechtlichen Strukturen aufweicht, könnte man vielen Kleinbauern die Arbeit erheblich erleichtern. Zudem ließen sich so die genetischen Ressourcen indigener Gruppen z.B. in Süd- und Mittelamerika, wo die Biodiversität besonders hoch ist, anerkennen und schützen. Das Saatgut und das zugehörige Wissen könnte nicht mehr von Unternehmen übernommen, für kommerzielle Sorten verwendet und dann mit Schutzrechten belegt werden, wenn ein Open Source System ähnlich dem bei Software bestehen würde.

Seit wann ist Saatgut eigentlich geistiges Eigentum?
Da muss man zunächst stark trennen zwischen Europa und z. B. den USA. In den USA sind alle landwirtschaftlich genutzten Sorten patentiert. In Europa ist das anders. Hier gibt es eine spezielle Eigentumsform, den »Sortenschutz«. Das ist ein eigens auf Pflanzenzüchtungen zugeschnittenes geistiges Eigentumsrecht, das den Sortenschutzinhaber berechtigt, allein über das Saatgut dieser Sorte zu verfügen. Man nennt den Sortenschutz auch „kleines Patent“. Er ist weniger restriktiv als das Patentrecht. Nach dem Sortenschutz kann zum Beispiel jeder das Saatgut eines anderen Züchters kaufen und es benutzen, um weiter zu züchten. Für die Züchtung muss man dann auch nichts bezahlen oder das irgendwo melden. Das nennt sich „Züchterprivileg“. Die Regelung soll ermöglichen, dass Pflanzensorten durch Züchtung verbessert werden können. Die auf Grundlage der „alten“ Sorten gezüchteten neuen Sorten können dann wiederum zum Sortenschutz angemeldet werden, wodurch der neue Züchter alle Rechte an Sorte und Saatgut erhält.

Open Source

Open Source ist ein Ansatz aus der Softwareentwicklung. Er beinhaltet, dass der Quellcode einer Software offen gelegt und für andere zur Bearbeitung freigegeben wird. Im weiteren Sinne steht Open Source auch für die freie Verfügbarkeit von Wissen und Informationen.

Ist das nicht schon eine Art Open-Source-Regelung?
Auch wenn das Züchterprivileg von Pflanzenzüchtern gern als „Open Source“ bezeichnet wird, stimmt das nicht ganz: die Sorte ist nur für andere Pflanzenzüchter frei zugänglich. Bauern z.B. dürfen nicht einfach Saatgut von ihrer Ernte zurückbehalten, um es wieder auszusäen. Dafür ist zum einen die Meldung an den Sortenschutzinhaber und zum anderen die Zahlung einer Gebühr fällig. Eine freie Nutzung von Saatgut im Sinne eines Gemeinguts ist also mit dem Sortenschutz nicht möglich.

Bis auf einige ökologische Sorten, die aus überzeugung nicht zum Sortenschutz angemeldet wurden, unterliegt in der Europäischen Union fast alles Saatgut dem Sortenschutz.

Wer lässt sich denn sein Saatgut patentieren?
Die Patentierung von Saatgut bzw. Sorten ist in Europa eigentlich nicht vorgesehen, weil es eben den Sortenschutz gibt. über den Umweg von aufwändigen technischen Züchtungsverfahren, z.B. der Gentechnik, die patentierbar sind, gibt es aber die Möglichkeit durch geschickte Formulierungen auch das zugehörige Pflanzenmaterial, also Saatgut und die Pflanze selbst, zu patentieren. Das wird kein Bauer machen. Die Pflanzenzüchtung ist ja inzwischen sehr arbeitsteilig organisiert. Es gibt kaum noch Bauern die selbst Sorten züchten. Das machen Pflanzenzüchter, meist große oder mittelständische Unternehmen. Außerdem ist ein Patentverfahren unglaublich aufwendig und teuer. In den USA oder anderen Ländern, in denen Sorten patentiert werden dürfen, ist es noch unwahrscheinlicher, dass ein Bauer ein Patent anmeldet, weil hier schon die Züchtung von bäuerlichen Sorten praktisch ausgeschlossen ist.

Und die Unternehmen lassen sich die Lizenzen zur Nutzung entsprechend bezahlen?
Zum Teil ist es so, dass die Sorten absichtlich so gezüchtet werden, dass sie nicht eigenständig vermehrt werden können. Das sind so genannte Hybridsorten, die haben ihren eigenen Patentschutz quasi schon eingebaut, weil sie steril sind. Oder man muss eben für jede weitere Verwendung Gebühren bezahlen. Wenn ein Bauer z. B. einen Teil seiner Ernte einbehält, um sie für die Aussaat im Folgejahr zu benutzen, zahlt er dafür so genannte „Nachbaugebühren“. Das gilt übrigens nicht nur bei Patenten, sondern auch beim Sortenschutz.

Bei Patenten ist das alles natürlich noch mal viel strenger, weil das Patentrecht ja eigentlich für technische Erfindungen entwickelt wurde. Da darf man dann wirklich gar nichts mit der jeweiligen Sorte machen, ohne dafür Lizenzgebühren zu bezahlen. Oft kommt es auch vor, dass Lizenzen gar nicht erst vergeben werden, weil ein Saatguthersteller ein Monopol haben möchte auf dem Gebiet.

Hier soll der Open Source Ansatz für Veränderung sorgen?
Bei Saatgut sollte das besonders gut funktionieren, denn Saatgut ist ein lebendiges Produkt. Es trägt Eigenschaften in sich, die entweder durch Züchtung erhalten werden – denn es ist ja weiterhin wichtig, dass man eine Sorte noch erkennt – oder so modifiziert werden, dass eine neue Sorte mit besseren Eigenschaften entsteht. Das passiert durch Kreuzung und Selektion. Wenn es aber ein Patent gibt, darf man das nicht. Da darf man dann nicht am Saatgut forschen und muss für seine Nutzung zahlen. Genau das will der Open Source Ansatz ändern: Man sollte jede Sorte beliebig weiterentwickeln und an ihr arbeiten können, genau wie etwa bei Software auch.

Die Unternehmen, die heute ihr Geld mit Saatgut verdienen, sind von der Idee bestimmt nicht begeistert.
Das müsste man sehen. Man kann die Privatwirtschaft natürlich nicht von außen umstrukturieren und auf den Kopf stellen – vor allem nicht solche großen Konzerne wie Syngenta, Monsanto, KWS etc. Die werden auch weiter existieren. Es gibt natürlich auch viele mittelständische Betriebe hier in Deutschland, die das niemals mitmachen würden.

Es geht also eher darum, das parallel zu machen. Es gibt z. B. viele ökologische Sorten, die in den vergangenen Jahren gezüchtet worden sind, die unter einem Open Source Modell geteilt werden könnten. So würde man sie gleichzeitig vor einer Aneignung von privatwirtschaftlichen Unternehmen schützen: Genau wie bei den »Creative Commons Lizenzen« könnten man vorab genau festlegen wie eine Sorte benutzt und weiterentwickelt werden darf. Wenn es nach uns geht nämlich offen und kostenlos. Das Vorbild ist hier ganz klar die „»Copyleft«„.

Aber irgendwie muss man doch nach wie vor noch Geld mit der Züchtung verdienen?
Ja, mit dem Saatgut selbst schon. Man darf es ja nach wie vor verkaufen. Das ist ja immer das Argument derjenigen, die den Sortenschutz erhalten wollen: Pflanzenzüchtung ist sehr aufwendig und teuer. Das muss irgendwie refinanziert werden. Deshalb braucht man den Sortenschutz. Damit die Sorte einem auch wirklich „gehört“ und man mit ihr Geld verdienen kann. Beim Open Source Ansatz müsste die Züchtung eigentlich aus öffentlicher Hand finanziert werden, um die Kosten der Züchter zu decken. Das Produkt, also das Saatgut an sich, könnte man dann weiterhin verkaufen. Hier müsste also auch die Gesellschaft bereit sein etwas dafür zu zahlen, dass der Zugang zu Saatgut und die Vielfalt erhalten bleiben.

Für wen wäre das denn interessant? Würden die Bauern dann wieder selbst züchten oder wer übernimmt das?
Das ist die Frage. In Deutschland gibt es eben kaum noch Bauern die selber züchten bis auf einige wenige Ausnahmen im Biobereich. Im Grunde gibt es da mittlerweile wie gesagt eine Aufgabenteilung zwischen Züchtern und Bauern, die vor allem mit der Spezialisierung und Technisierung in der Pflanzenzüchtung zusammenhängt, aber auch mit den geistigen Eigentumsrechten. Es wären also vor allem kleinere Züchterbetriebe, die dann viel mehr ausprobieren könnten. Vor allem könnten sie aber viel mehr Sorten erhalten: Denn viele Sorten müssen ja regelmäßig bearbeitet werden, damit sie überhaupt erhalten bleiben. Die Sorteneigenschaften gehen sonst verloren. Und für die Bauern wäre der sog. Nachbau wieder möglich. Das heißt sie müssten nicht für jede Aussaat erneut zahlen und könnten die eigene Ernte wiederverwenden. Wäre Nachbau ohne Gebühren möglich, könnten die Bauern auch wieder Teil der Züchtung, zumindest der Erhaltungszüchtung werden, indem sie bestimmte Pflanzen auswählen, selektieren, von denen sie das Saatgut für die nächste Aussaat nehmen, weil sie besonders gute Eigenschaften haben und so zur Erhaltung dieser guten Eigenschaften beitragen.

Gibt es schon konkrete Projekte, die das Modell testen?
In den USA gibt es das Projekt »OSSI« um den Professor Jack Cloppenburg, ein Soziologie Professor aus Wisconsin, der schon viel zum Thema Saatgut geforscht hat. Die haben eine offene Lizenz entwickelt, nennen das aber „pledge“ (Versprechen), weil man das in den USA rechtlich noch nicht verbindlich machen kann. Der Lizenztext wird auf die Saatgutbeutel gedruckt und sobald man den Beutel öffnet, hat man sich mit den Bedingungen einverstanden erklärt. Das machen die großen Saatgutunternehmen mit den kostenpflichtigen Lizenzen übrigens genauso.

In Deutschland haben wir in einem Projekt des Vereins »AGRECOL« ebenfalls daran gearbeitet, eine Open Source Lizenz für Saatgut zu entwickeln. Der erste Entwurf dafür ist mittlerweile auch fertig. Der Unterschied ist allerdings, dass die Lizenz hier rechtsverbindlich werden soll. Der Züchterverband Kultursaat wird voraussichtlich einige Sorten für den Test dieser Lizensierung zur Verfügung stellen.

Lisa Minkmar hat in Hamburg Jura studiert und ist ebenfalls Groß- und Außenhandelskauffrau. Sie hat über zehn Jahre in der Biobranche gearbeitet und ist seit 2010 wissenschaftlich im Umwelt- und Immaterialgüterrecht mit Bezügen zum Europa- und Völkerrecht tätig.

Quelle: Dieser Text „Erhaltet die Vielfalt! Wie Open Source den Saatgutmarkt demokratisieren könnte“ erschien zuerst am 15.09.2016 bei der Bundeszentrale für politische Bildung unter CC BY-SA 3.0


Zur Erweiternden Erklärung ist auch dieser Vortrag, gehalten auf der re:publica 2012 – Commons: Was Saatgut und Software gemeinsam haben von Silke Helfrich zu empfehlen.