Denklatenz

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Über die Umkehrung der Panoramafreiheit in ein Verbot.

Panoramafreiheit in Gefahr

Mit dem Beginn der Legislaturperiode 2014, wirkte die Piratin Julia Reda an einer Evaluation des europäischen Urheberrechts. Die von ihr verfasste Novellierung und ausgehandelte sogenannte Reda-Report des Urheberrechts umfasst auch den Punkt der sogenannten Panoramafreiheit. Die Panoramafreiheit soll in eine Restriktion umgewandelt werden.

Panoramafreiheit
Bild: "Reichstag dome, Germany" von Ralf Roletschek unter CC BY-SA 3.0

29. Juni 2015

von René Buchfink

Julia Rede ist die einzige Abgeordnete der Piratenpartei im Europaparlament und hat sich der Fraktion der europäischen Grünen Partei (EGP) angeschlossen. Der Rechtsausschuss hat am 16. Juni den Bericht über die Evaluation über das EU-Urheberrechts angenommen. Wie Julia Reda in ihrem Blogeintrag schreibt, konnte sie ihrer Ansicht nach, zahlreiche gute Kompromisse aushandeln, muss aber zur Kenntnis nehmen das die konservativen Mehrheit des Rechtsausschuss, die sogenannte Panoramafreiheit ins umgekehrte, in ein Panoramaverbot verdrehten. Julia Reda strebte an, die Panoramafreiheit für die ganze EU auszuweiten und einheitlich zu gestalten. Der Rechtsausschuss dreht die Forderung um 180 Grad um.

Reda-Report Fassung Rechtsausschuss
Fordert den Gesetzgeber der EU auf sicherzustellen, dass die Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an öffentlichen Orten platziert sind, gestattet ist; Vertritt die Auffassung, dass die gewerbliche Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an physischen öffentlichen Orten platziert sind, immer an die vorherige Einwilligung der Urheber oder sonstigen Bevollmächtigten geknüpft sein sollte;
Übersicht der Panoramfreiheit in Europa
"Niveaus der Panoramafreiheit in Europa" von Maximilian Dörrbecker (Chumwa) unter CC BY-SA 3.0

Die Panoramafreiheit (auch Straßenbildfreiheit) ist eine in vielen Rechtsordnungen der Welt vorgesehene Einschränkung des Urheberrechts, die es jedermann ermöglicht, urheberrechtlich geschützte Werke, beispielsweise Gebäude, Kunst am Bau oder Kunst im öffentlichen Raum, die von öffentlichen Verkehrswegen aus zu sehen sind, bildlich wiederzugeben, ohne dass hierfür der Urheber des Werkes um Erlaubnis ersucht werden muss.

Am 9. Juli wird das gesamte EU-Parlament zu der geänderten Novellierung des Reports abstimmen. Sollte diese Passage verabschiedete werden, würde es in der Praxis umfangreiche Verschlechterungen für die Menschen bedeuten.

Es gibt einen schwerwiegenden Vorschlag des Rechtsausschuss. Wenn nämlich irgendjemand ein Bild von einem „dauerhaft an physischen öffentlichen Orten platzierten“ Objekt gemacht hat und er es in einem kommerziellen Kontext wiederveröffentlichen will, muss um Erlaubnis fragen. Das restriktive Urheberrecht kommt voll zum tragen. Im schlimmsten Fall bedeutet das, das Panoramabilder, -Aufnahmen in Deutschland erst 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers, Architekten, Künstler, Landschaftsarchitekten frei verwendbar werden.

nicht aus versehen: kein Roaming, keine Panoramafreiheit

Es passt sehr gut in das Konzept der digitalen Agenda der EU, sich für einen digitalen Binnenmarkt ohne nationale Schranken stark zu machen. Die EU will Konsum der Verbraucher ankurbeln und den Wettbewerb der europäischen Telekommunikationskonzerne untereinander stärken in dem sie Hürden für den Handel senkt. Roaminggebühren innerhalb der EU stören den transnationalen Handel. Beobachtet man die Logik und das Selbstverständnis der Europäischen Union, lässt sich sehr gut erkennen das es sich primär um eine Wirtschaftsunion handelt. Ohne Unterlass versuchen die meisten Abgeordneten die EU als „Soziale Union“ darzustellen, allen voran Martin Schulz (SPD) als Parlamentspräsident. Diese übertriebene Behauptung dient der Verschleierung und soll von der primären Intention der EU-Institutionen ablenken.

In dem Kontext der Unternehmensförderung muss man auch den Fall der Panoramafreiheit und die strenge Auslegung des Urheberrechts sehen. Das derzeitige Urheberrecht bevorteilt privatwirtschaftliche Interessen unter anderen Verlagshäuser und Bildagenturen, nicht Gemeininteressen. Für viele Verlage und Einzelpersonen ist das ein Urheberrecht eine wahre Goldgrube auf der sie für mindestens 70 Jahre sitzen. Es gibt Bestrebungen von konservativen Politikern die Schutzfrist noch weiter zu erhöhen.

Regelschutzdauer
Bild: "Regelschutzdauer in Deutschland" von Tom Bell unter CC BY-SA 3.0

Nüchtern betrachtet ist es keine Überraschung, das allen voran die konservativen und rechten Fraktionsmitglieder, sich bereitwillig gegen Roaminggebühren und gegen die Panoramafreiheit ausgesprochen haben.

Schlagwort Urheberrechtszensur

Vor allem Zeugen der Zeitgeschichte werden ein Problem bekommen. Dokumentarisches Arbeiten in urbanen Räumen wird sehr stark verkompliziert. Journalisten und Kunstfotografen, oder Filmemacher könnten ihrer Aufgabe nicht frei nachkommen. Demonstrationen und Aufzüge spielen sich häufig in Städten ab. Häufig genug versammeln sich tausende Menschen vor neuen repräsentativen Bauten um zu demonstrieren oder um politische Kundgebungen abzuhalten. So zum Beispiel versammelte sich die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) im Mai diesen Jahres vor der Zentrale der Deutschen Bahn (DB) zu einer Kundgebung. Im Hintergrund Teile des neuen Potsdamer Platzes und der 26-geschößige Neubau vom Architekten Helmut Jahn. Fernsehanstalten und Fotografen hätten unter Umständen ein Problem die Bilder verwenden zu dürfen, weil sie in einem unliebsamen Kontext auftauchen. Oder stelle man sich jüngst die politische Kunstaktion des Zentrum für politische Schönheit „Die Toten kommen“ vor. Es wäre ein leichtes jegliche Aufnahme, in der die Kuppel des Reichstag, oder Teile des Kanzleramts, bzw. Paul-Löbe-Haus zu sehen wären, von Staatsseite her, durch das Urheberrecht zu zensieren. Bei Textdokumenten wie z.B. Gutachten des wissenschaftlichen Dienst des Bundestags wird davon Regelmäßig gebraucht gemacht um eine Veröffentlichung zu verhindern. Auch Zensurheberrecht genannt.

Demo: Die Toten kommen
Bild: "die toten kommen" von Mike Powell unter CC BY 2.0

Der Faktor kommerziell: facebook adé?

Die Umkehrung der Panoramafreiheit in ein Panoramaverbot, soll laut dem Entwurf nur für die Verwendung im kommerziellen Kontext gelten. Schnell könnte man meinen, betrifft mich nicht. Die Praxis sieht häufig anders aus. Das unscharfe selfie hochgeladen auf Twitter oder Instagram passiert millionenfach. Bilderfolgen der letzten Städterundreise säumen ganze Facebookalben. Ein Videozoom auf eine Statue oder der Schwenk über den Landschaftsgarten hinweg, findet man zahlreich in Youtube-Videos. Künstlerisch in Szene gesetzte Skateboardvideos könnten Schutzrechte verletzen. All diese Szenarien sind kommerzieller Natur.

Facebook und co haben in ihren Geschäftsbedingungen häufig die Klausel verankert, das man ihnen ein nicht-exklusives Nutzungsrecht an jedem hochgeladenen Bild zubilligt so das sie die Bilder ihrer Nutzer auch für andere Zwecke nutzen dürfen. Bilder der Nutzer werden an Agenturen weiterverkauft oder für das eigene Werbeportfolio, Stockfotos benutzt. Mit dem Themenkomplex hat sich irights.info Umfangreich auseinander gesetzt.

„Durch die Übermittlung, Veröffentlichung und/oder Anzeige von Inhalten in den Services räumt der Benutzer Twitter die nicht-exklusive, gebührenfreie und weltweite Erlaubnis ein (einschließlich dem Recht auf Erteilung von Unterlizenzen), diese Inhalte in sämtlichen, jetzt bekannten oder später entwickelten Medien oder Vertriebsmethoden zu benutzen, zu kopieren, zu vervielfältigen, zu verarbeiten, anzupassen, zu verändern, zu veröffentlichen und zu übertragen.“

Die Trennung zwischen kommerziell und nicht-kommerziell ist in der Praxis äußerst unscharf. Ein Bild oder Film gilt als schon dann kommerziell wenn auf einem Blog z.B. nur ein Spenden-Button o.ä. eingerichtet ist.

Den Berliner Fernsehturm, ein beliebtes Objekt vieler Touristen könnte jegliche Nutzung außerhalb engster privater Kreise untersagt werden. Das ablegen auf Flickr oder anderen Medienplattformen, wie Youtube, könnte rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Sowohl für den Nutzer als auch für z.B. Youtube.

Daraus entstünden drei unterschiedliche Szenarien. Zum einen wäre möglich das die Plattformbetreiber ihr Geschäftsgebaren ändert – kaum vorstellbar, eher werden diese transkontinentalen Unternehmen eine Ausnahmegenehmigung erhalten. Szenario zwei wäre ein abwandern von Facebook & co hin zu eigenen selbstgehosteten Plattformen wie sie z.B. die Software MediaGoblin ermöglichen. Szenario drei, ziviler Ungehorsam, das die Betroffenen, sich dem kollektiv verweigern und das formal juristische Recht durch einen moralisches legitimiertes Recht ersetzen und ad acta legen.

Mit Abmahnungen Geld verdienen

Sollte sich die Regelung durchsetzen, würden die schwarzen Schafe unter den Rechtsanwälten einen Luftsprung aus Freude machen. Ganze Anwaltskanzleien haben sich darauf konzentriert Abmahnungen als Geschäftsmodell zu betreiben. Häufig im Kontext mit sog. Tauschbörsen. Auch Bilder die unrechtmäßig veröffentlicht wurden, werden gerne Abgemahnt. Kommt das Panoramaverbot, stehen einige Rechtspfleger mit Sicherheit bereit um sich neue Opfer zu suchen und durch Webseiten zu crawlen, auf der Suche nach neuen Opfern. Bei der Menge an Bildern, Webseiten, sozialen Netzwerken ist das ein riesiger Ozean an potenziellen Einnahmen durch Abmahngebühren.

Aber nicht nur aus eigenen geschäftlichen Interesse könnten Anwälte tätig werden auch Urheber, Erben von Urheberrechten bzw. Verlage und Unternehmen die Urheberrechte erworben haben könnten das als Einnahmequelle ansehen. Der Umgang mit dem Kulturgut von Heinz Erhardt ist ein unrühmliches Beispiel aus der Gegenwart und dafür bekannt das die Erben und Verlage rigoros Abmahnen und gar Schadensersatzforderungen einklagen. Im digitalen Zeitalter wo jedes Handy Fotos machen kann, tausende Hobbyfotographen ihrer Leidenschaft nachgehen, und Kinder mit Digicams unterwegs sind wäre das ein Schlaraffenland für die Contentmafia. Es würde eine Explosion von Internetfallen geben. Wie z.B. derzeit www.marions-kochbuch.de das ganz familiär und bieder daherkommt im Hintergrund aber jede rechtverletzende Benutzung ihrer schönen Fotos gnadenlos verfolgt.

Ein günstig positioniertes Kunstwerk oder Statue kann so zu einem Goldesel für den Rechteinhaber werden. In Zukunft würde es wesentlich mehr strategisch positionierte „Dukatenscheißer“ im öffentlichen Raum geben, als wahre Kunstobjekte.

Wikipedia ohne Freie Bilder

Für das Freie Lexikon Wikipedia würde es eine riesige Beschneidung ihrer Inhalte nach sich ziehen. Die Wikipedia und ihre Schwesterprojekte Commons.Wikimedia nutzt ausschließlich freie Inhalte. Freie Inhalte bedeutet u.a. das es egal ist ob diese kommerziell genutzt werden oder nicht. Schon jetzt ist auf der französischen Wikipedia kein nächtlicher Eifelturm zu sehen. Weil die Firma die den gusseisernen Turm Nachts anleuchtet dies als Urheberrechtlich geschützte Kunst ansieht und an Postkarten und Druckerzeugnissen gerne mitverdienen möchte. Neuere Gebäude wie den Erweiterungsbau des Deutsche Historische Museum den Pai-Bau würden ganz aus der Wikipedia verschwinden.

Die deutschsprachige Wikipedia hat ein offenen Brief an die EU-Abgeordneten Formuliert den man hier mit unterzeichnen kann.

[Update 29.06.2015: auch der Deutsch Journalisten Verband (DJV) hat sich sehr ablehnend gegen die geplante Regelung ausgesprochen und eine Initiative
Pro Panoramafreiheit Für das Recht auf freie Fotografie gestartet.]