Traurige Anlässe und Hysterie.
Was war passiert? Die Redaktionsmitglieder der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo wurde am 7. Januar 2015 Ziel eines islamistisch motivierten Anschlags bei dem elf Menschen ihr Leben leben verloren haben. Am nächsten Tag erschoss der ebenfalls islamistisch motivierte 32-Jährige Amedy Coulibaly die Polizistin Clarissa Jean-Philippe. Bei seiner Flucht vor den Strafverfolgungsbehörden floh Coulibaly am 9. Januar in einen koscheren Supermarkt. Dort erschoss er vier weitere Menschen und nahm Kunden und Angestellte des Supermarkts als Geiseln. Coulibaly wurde bei der Erstürmung des Supermark erschossen. Sowohl die Attentäter auf die Redaktionsmitglieder der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo, die Brüder Saïd und Chérif Kouachi, als auch der Attentäter Amedy Coulibaly hatten sich über ihr vorgehen abgesprochen.
Der Schock über die Anschläge und zum Teil Hysterie breitete sich auch über andere europäische Staaten aus. Der Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nahm die traurigen Vorfälle und die emotional äußerst aufgebrauste Situation zum Anlass die Vorratsdatenspeicherung (VDS) als notwendiges Werkzeug gegen Terror einzufordern. Allerdings ist in dem Fall das Bundesjustizministerium unter Heiko Mass (SPD) zuständig. Der kleine Koalitionspartner hatte eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung bisher immer abgelehnt. Wie die CDU den SPD-Vorstand und Heiko Maas dazu bringen konnte sich für eine neue Ausarbeitung eines Gesetzentwurf zur VDS auszusprechen, bleibt ihr Geheimnis. An welchen Stellen es in SPD-Fraktion und im Regierungskabinett geknackt hat lässt sich heute nicht mehr mit Gewissheit sagen. Wie jedoch der SPD-Vorstand nach ihrem Umfallen damit umgegangen ist lässt sich hier nachlesen.
Diesmal machen wir es richtig.
Vollmundig verkündet Heiko Maas, gegenüber der Presse und Kritikern der Vorratsdatenspeicherung, dass die neue VDS diesmal aber ganz gewiss Gesetzeskonform sein wird.
Im taz-interview vom 27.07.2015 wurde Maas auf das EuGH-Urteil vom 08.April 2014 angesprochen. Dazu steht in der Pressemitteilung des EuGH, das der Gesetzgeber die Grenzen überschritten hat, die er zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einhalten musste
. Auf das Urteil angesprochen sagt er damals: Wir erfüllen die EuGH-Vorgaben – auch, weil wir den E-Mail-Verkehr komplett von der Speicherung ausnehmen und die Berufsgeheimnisträger besonders schützen.
Seine Hauptargumente warum es diesmal mit rechten Dingen zu gehen wird, stützten sich auf zum einen die verengte zeitliche Speicherfrist von 10 bzw. 4 Wochen und das Inhaltsdaten von der Speicherung ausgenommen sein würden. Dabei verkennt er die fundamentalste Begründung gegen eine VDS. Eine anlasslose Massenüberwachung ist überhaupt nicht mit unserem Recht zu vereinbaren, weder auf europäischer Ebene noch auf nationaler Ebene.
Was steht im Gesetz? Einige Beispiele:
- Standortdaten bei Beginn einer mobilen Internetnutzung, zu speichern für 4 Wochen;
- Rufnummern, Zeit und Dauer aller Telefonate, zu speichern für 10 Wochen;
- Rufnummern, Sende- und Empfangszeit aller SMS-Nachrichten, zu speichern für 10 Wochen;
- zugewiesene IP-Adressen aller Internetnutzer sowie Zeit und Dauer der Internetnutzung, zu speichern für 10 Wochen.
quelle: www.de.wikipedia.org, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten.
Widerstand im ganzen Land.
Im politischen Kontext gilt der Begriff Vorratsdatenspeicherung als verbrannt. Deshalb wird in Regierungskreisen spätestens seit 2011 lieber der Begriff Mindestspeicherfrist verwendet. Und so wird versucht durch Wording das neue Wort in den allgemeinen Sprachgebrauch zu überführen. Penetrant wird von Befürwortern von Mindestspeicherfrist oder Höchstspeicherfrist gesprochen, sehr auffällig.
Das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten also das Gesetz zur VDS wurde am 09.06.2015 von den Regierungsparteien vorgelegt und sollte ursprünglich noch vor der parlamentarischen Sommerpause verabschiedet werden. Dies rasante durchdrücken, durch den parlamentarischen Prozess konnte verhindert werden. Es wurde schlussendlich am 16.10.2015 vom Parlament verabschiedet.
Zahlreiche Politiker wie z.B. der EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht oder Verbände wie der Deutsche Journalisten Verband oder prominente Einzelpersonen wie die Schriftstellerin Juli Zeh, klagten gegen das Gesetzt. Einen Eilantrag an das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung gegen die VDS zu erwirken, lehnte das Bundesverfassungsgericht mit dem Hinweis ab, das erst die Hauptverhandlung über den Sachstand korrekt Auskunft geben kann.
Am 22. Juni 2017 kommt, in der Hauptverhandlung, das Oberverwaltungsgericht aus NRW lt. Pressmitteilung zu folgenden Urteil:
Die im Dezember 2015 gesetzlich eingeführte und ab dem 1. Juli 2017 zu beachtende Pflicht für die Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste, die bei der Nutzung von Telefon- und Internetdiensten anfallenden Verkehrs- und Standortdaten ihrer Nutzer für eine begrenzte Zeit von 10 bzw. – im Fall von Standortdaten – 4 Wochen auf Vorrat zu speichern, damit sie im Bedarfsfall den zuständigen Behörden etwa zur Strafverfolgung zur Verfügung gestellt werden können, ist mit dem Recht der Europäischen Union nicht vereinbar. […]
Somit ist die VDS erneut als Rechtswidrig erklärt worden. Geklagt hatte der Internet Service Provider SpaceNet AG und hat umfänglich recht bekommen.
Wer hätte das ahnen können? So ziemlich jeder. Zahlreiche Juristen haben davor gewarnt, das dieses Gesetzt nicht richtig ist. Selbst das eigene Haus, der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat laut Süddeutscher Zeitung in zwei Gutachten dargelegt das dass der Gesetzentwurf die verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben in mehreren Punkten nicht erfüllt. Wie z.B. die besonderen Bedürfnisse von Berufsgeheimnisträgern. Auch wenn die beiden Gutachten vom Frühjahr 2015 (Link 1, Link 2), den Entwurf nicht gänzlich zerreißen ist eine kritische Note nicht zu übersehen. Beim letzten erschienen Gutachten vom 12. Januar 2017 zum Thema VDS wird die Einschätzung unmissverständlich deutlich, so z.B. "erfüllt (das Gesetz) nicht die Vorgabe des EuGH, dass nur Vorratsdaten solcher Personen gespeichert werden, die Anlass zur Strafverfolgung geben." Das heißt, nur Menschen die bereits konkreten und schwersten Straftaten verdächtig werden dürften erfasst werden, nicht aber alle anderen Erwachsenen, Kinder oder sonstige schutzbedürftige Menschen.
Eine verdachtsunabhängige Speicherung von Metadaten, Inhaltsdaten oder sonstigen Daten ist Europarechtswidrig. Nun müssen wir nur noch darauf achten das wir nicht alle im Zuge einer politischen Agenda unter einem Ausnahmezustand Leben wie die letzten Jahre die Franzosen, oder alle per se einer Straftat verdächtig werden. Die Unschuldsvermutung ist das fundamentale Prinzip unser Rechtstaatlichkeit. Jede Form von anlassloser Datenspeicherung, durch Behörden, ist Rechtswidrig. Das Thema Vorratsdatenspeicherung, Mindespeicherfrist oder welchen Euphemismus sich der Politikbetrieb in Zukunft ausdenken wird, das tote Pferd wird gewiss noch einmal geritten werden. Es sei den die QuellenTKÜ macht die VDS überflüssig, aber das ist ein anderes Thema.
[Update 28.06.2017 - 12:00] Die Bundesnetzagentur setzt die Speicherpflicht für alle übrigen Provider aus.
[Update 17.10.207 - 12:00] Der Verein Digitalcourage e.V. hat eine Liste von Providern erstellt, die laut Eigenaussage die VDS nicht umsetzen. (Stand vom 26. September 2017)