Aus dem militärischen Informationsnetzwerk ARPANET entstand das zivile Internet als Abfallprodukt. 1983 spaltete das Pentagon das ARPANET in zwei Teile auf. In einen weiterhin militärischen Bereich und in ein zivilen Bereich, den wir heute gemeinhin als Das Internet kennen.
Abfall, im Bezug auf das Internet will Simanowski nicht nur als das was übrig bleibt, als den Rest oder als Müll verstehen, sondern auch als eine Art Abfall im Sinne von Abkehr. Eine Abwendung von bisherigen Verhaltensnormen hin zu den Spielregeln die bisher nur für das Internet galten. Im Internet gelten andere soziale Gesetzmäßigkeiten. Diese Gesetzmäßigkeiten haben unzweifelhaft einen Einfluss auf die reale Welt aber eben keinen unmittelbaren. An welchen stellen sich die Netzkommunikation ihre Bahnen ins Real-Life bricht, versucht Simanowski zu beschreiben. Wie verändert das Internet uns alle? Wie verändert das Internet unsere soziale Praxis?
Informationen die digital durchgeschleust werden, erfahren beim Ein- und Austritt in die echte Welt immer eine Permutation. Diese Permutation, ist individuell und nicht berechenbar. Die Interpretation der Information die uns auf Bildschirmen angezeigt wird, sie hängt im wesentlichen von persönlichen, sozialen und kulturellen Erfahrungen des einzelnen ab.
Schuld haben immer die Anderen.
Wer trägt die Schuld an Donald Trumps Wahlsieg im November 2016, Marc Zuckerberg mit seinem Facebook? Es ist die drängendste Frage die Simanowski hat. Hat Facebook wirklich Trump ermöglicht? Das ist nicht nur die Eingangsfrage des ersten Kapitels, sondern macht gleich deutlich das es Simanowski nicht um einen abgehobenen theoretischen Diskurs geht, sondern er will mitten hinein in die aktuelle Diskussion stechen und Teil der Debatte ums postfaktische, fakenews etc. sein. Im Kapitel über die Schuldfrage stellt er jedenfalls fest, das es mehr als (nur) den Verdacht auf Beihilfe zur Volksverdummung gibt. Neben der Beantwortung dieser Frage, wer nun schuldig sei am Wahlsieg von Donald Trump, sei grundsätzlich vorab zu klären ob man Marc Zuckerberg das überhaupt anlasten kann. […] , denn es ist fraglich, dass ein Mann und ein Unternehmen die Macht haben, die Kultur der Welt zu ändern.
Das Werkzeug formt uns.
In vorherigen Werk Facebook-Gesellschaft hat Simanowski die Eigenschaften der Menschen und Kulturen beschrieben die Facebook benutzen. In diesen Buch Abfall - Das alternative ABC der neuen Medien, geht es darum wie Facebook, Twitter, Snapchat und Co funktionieren und was sie mit den Menschen machen und wie sie die kulturelle Wirklichkeit ändern. Wir Formen unser Werkzeug, und danach Formt unser Werkzeug uns, zitiert Simanowski Marshall McLuhan.
In den nächsten 13 Kapitel versucht er das Wesen, die Rückkopplungseffekte, Wirkmechanismen, Phänomene und Gesetzmäßigkeiten zu erfassen. Die einzelnen Kapitel sind sehr gut umrissen, mit jeweiligen Unterkapiteln. Wenn es z.B. um die Dialektik der Partizipation geht. Dort macht er den Vergleich zwischen einem Einwege- und einem Zweiwegemedium auf. Er zieht dabei Berthold Brechts Medienkritik am Radio heran und vergleicht das Radio mit dem Web 2.0. Er kommt dabei zu dem Schluss, daß dass Radio gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu früh, das Internet gegen Ende des 20. Jahrhundert, dagegen zu spät gekommen ist um als echtes partizipatives Medium, dem Neolibralismus Einhalt zu gebieten. So wurde statt der Hoffnung und Utopie, wie sie unter anderem John Perry Barlow in der Declaration of the Independence of Cyberspace formulierte, das Internet, der Cyberspace zu einem weiteren Ort der Entmündigung und des Konsum. Zu einen Hort der Freiheit, jedenfalls für die meisten von uns, ist das Internet nicht geworden.
Prominent vorn platziert ist auch das Kapitel über den Gläsernen Menschen. So schreibt er, daß das Hohelied der Transparenz, "Ich hab ja nichts zu verbergen", eigentlich nichts anderes als Kaltherzigkeit gegenüber den Sorgen von Minderheiten ist. Zudem bescheinigt Simanowski den Befürwortern große politische Naivität, weil sie glauben, die aktuellen Gesetzte stünden immer moralisch und rechtlichen auf der Höhe der Zeit. Die Kollaboration mit Unternehmen wie Versicherungen oder staatlichen Überwachungsorganen geht einher mit dem Anreiz, Vorteile zu bekommen oder einfach nur aus Bequemlichkeit. Diese Aussage ist absolut Deckungsgleich mit der von Byung-Chul Han in Psychopolitik. Weiter konstatiert Simanowski, das Edward Snowdens Enthüllungen zwar eine gute Unterbrechung war, aber Georg Orwells 1984 Urlaubslektüre blieb und der ganze NSA-Skandal bei der Masse der Bevölkerung ein reines Sommerlochthema war. Der Hang zur Selbstvermessung ist, so sind sich viele Experten einig eh das schlimmere Übel. Wo liegt der Feind? In a) Geheimdiensten b) Staat c) Netzgiganten d) Programmierern c) in uns selbst, fragt Simanowski.
Desweiteren stellt er eine interessante These auf, wenn er sagt, die Vermessung der Welt ist das Erbe der Aufklärung in dem kein Hügel vermessen bleibt – alles wird in Datenbanken abgespeichert. Der Circle das globale Technologieunternehmen in Dave Eggers Zukunftsroman, zählt gar alle Körner der Sahara.
Für die Kritik am rastlosen aber auch des verblöden der Nutzer findet Simanowski im Kapitel Faust auf Facebook eine schöne Allegorie. Warum z.B. der einzelne Facebookuser schon längst seine Seele an Mephistopheles verloren hat.
- Faust:
- Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So seis gleich um mich getan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
Daß ich mich selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuß betrügen,
Das sei für mich der letzte Tag!
Die Wette biet ich! - Mephistopheles:
- Topp! (die Wette gilt)
Aufmerksamkeitsökonomie
Unter den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Medien werden Fotos nicht studiert, sondern kurz erfasst, schnell geliked und für immer weggeklickt. Manche erledigen so im Fahrstuhl zehn Bilder zwischen zwei Etagen. Wirkliches Ansehen sieht anders aus ….
Simanowski ist kommt in seiner Beurteilung im Bezug auf den Konsum von Inhalten in sozialen Netzwerken zu keinen anderen Ergebnis als Byung-Chul Han oder Harald Welzer. Das denken wird minimiert. Ein Transformationprozeß vom Erfassen eines Bildes hin zu eigenen Gedanken findet kaum mehr statt. Ereignisse werden nicht mehr zu Erfahrung transformiert. Bilder werden geliked ohne gesehen zu werden. Das verweilen widerspricht den Gesetzen sozialer Medien. Simanowski geht ein wenig auf die geposteten Bilder bei Facebook ein, will aber mehr noch an dem Beispiel von Snapchat verdeutlichen, das verweilen keine Bedeutung hat.
Das Archivieren das bei Facebook und Twitter noch eine Rolle spielt ist bei der nächsten Generation sozialer Medien wie Snapchat schon obsolet. Wie facebook inc. vor wenigen Tagen auf ihrer Homepage angekündigt hat, will nun auch Facebook eine Funktion für Bilder implementieren, die dem User erlaubt ein Bild, Video oder Post lediglich 24 Stunden für andere sichtbar zu haben.
Die Kamera wird von einem Medium der Zeitüberwindung zu einem der Raumverkürzung mit der Folge, das sie noch Radikaler als zuvor zum Medium (auch) des Banalen wird. Medien werden zu einer Armverlängerung, sagte schon Marschal McLuhan in den 1960er Jahren voraus, besonders trifft die vorhersage wohl auf die "Die Neuen Medien" zu.
Weitere Kapitel in Abfall befassen sich mit der Nerdkultur, den Verlust des Expertentums oder dem sehr klar und gut eingedampften Kapitel über das Phänomen des Shitstorm und seine Shitstürmer.
Fazit:
Abfall: Das alternative ABC der neuen Medien, ist am Puls der Zeit. Roberto Simanowski fühlt ihn und bescheinigt uns, das die Zeitenwende bereits stattgefunden hat und der kultureller Wandel weiter voran schreiten wird. Ein zurück ist ausgeschlossen. Wir müssen lernen mit dem digitalen zu leben und es für unsere Sachen, für die Befriedigung unserer Bedürfnisse zu gebrauchen. Nicht nur darauf zu schimpfen, sondern es nutzen wie es die Utopisten der ersten Stunde vor hatten, als ein Medium das emanzipierte und demokratische Gesellschaften fördert.
Fakten: |
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Autor: | Roberto Simanowski | |
Titel: | Abfall. Das alternative ABC der neuen Medien. | |
Seiten: | 186 | |
Verlag: | Matthes & Seitz Berlin | |
VÖ-Jahr: | 2017 |