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Dave Eggers: Every

Nach der Veröffentlichung von Der Circle, 2014, nimmt Dave Eggers neue Heldin Denaley Anlauf, den inzwischen von Der Circle in Every umgetauften Konzern, von innen heraus zu vernichten. Ein dystopischer Roman, der Elemente des aktuellen Zeitgeist aufgreift und in naher Zukunft spielt.

von René Buchfink

Schöne Neue Welt

Buchcover: Dave Eggers "Every"

Ich habe ein wenig überlegt ob ich den neuen Roman von Dave Eggers Every überhaupt lesen sollte. Zu stark beeinflusst und zu nahe fühle ich mich dem technophilien Milieu aus dem CCC, Freifunker und ähnlichen Gruppen auf der einen und technikkritischen Geistern wie der Gesellschaft für Informatik, dem FIfF, der Technikphilosophie auf der anderen Seite verbunden. Braucht Der Cirlce eine Fortsetzung? Schließt sich Every überhaupt an den 2014 erschienen Roman an? So klar war das im Vorfeld dann doch nicht. Ist die Welt nicht schon schlimm genug, braucht es da noch dystopische Bücher? Die Antwort kann nur 'Ja' lauten. Dave Eggers ist jemand der es als seine Aufgabe ansieht über seine prosaischen Werke, wie z.B. Weit Gegangen oder Die Parade, auf gesellschaftliche Phänomene hinzuweisen, um über den Weg der Literatur seine Botschaft zu verbreiten. Für ihn ist Schreiben kein Selbstzweck. Schlussendlich bin ich mit meinen Überlegungen dahin gekommen, das mich das was er schreibt und wie er schreibt doch soweit interessiert das ich Every auf jedenfall lesen werden. Warum also zögern?

Die Handlung ist frei erfunden, spielt aber in der nahen Zukunft. Der Zukunftsroman ist kein neues Genre aber so ziemlich das Gegenteil von dem was man unter „historisch Roman“ versteht. Während der klassische „historische Roman“ oft romantisch vergangene Epochen widerspiegelt, gerne in auch als Mittelalterfolklore in der 10x Wiederholung des immer selben, spannend wie Urlaub am Wörther See, bietet der Zukunftsroman eine geistige Seefahrt in unbekannte Gewässer. Science Fiction beseegelt die Seele. Every ist allerdings kein Science-Fiction-Roman, aber eine dystopische Angelegenheit die in naher Zukunft spielt.

Im Herz der Finsternis gibs auch für Dich ein Smiley.

Denaley Wells ist 32 Jahre alt und hat die Infiltration von Every jahrelang geplant. Every ist ein Zusammenschluss vom Circle und dem Djungel eine E-Commerceplattform. Aufgewachsen ist sie in einem Trogerhaus, einem Zuhause in den Bergen von Idaho wo ihre beiden Eltern dem Einfluss des Circles, später Every so klein wie möglich halten wollten und ein unabhängiges, gütiges kleines Leben führen wollten. Auf ihren kleinen Lebensmittelladen waren sie besonders Stolz, bis Every kam und den Laden schluckte.

Keiner hatte damit gerechnet, dass der E-Commerce-Anbieter mit dem Namen eines südamerikanischen Dschungels in den Lebensmittelsektor einsteigen würde. Aber fegte durch die Branche wie ein gewaltiger Meteor und verursachte ein Massensterben bei allen kleinen Läden, die das Pech hatten, ihm im Weg zu stehen. Der dschungel eröffnete seine neue Bioladenkette – FolkFood – in der Stadt, achtzehnmonate später hatten Denaleys Eltern ihr Geschäft verkauft und arbeiteten gedemütigt, beschämt und grüne Schürzen tragend für die Kette. …

Denaley selbst war bis zu ihrer Schulzeit ein naturliebendes Kind, bis der obligatorische Computerzwang in der Schule sie über Jahre hinweg in eine schwere Internetsucht warf. Viele Jahre und endlose Therapiesitzungen später und vor allem die Liebe ihrer Eltern halfen ihr aus der Sucht heraus zu kommen. Ihre Suchterfahrung, die Demütigung ihrer Eltern und die Erkenntnis der immensen Unfreiheit die von Every ausgeht, macht sie zu einem erbitterten Gegner von Every. Für Denaley gibt es nur einen Weg dem Überwachungskapitalismus zu entkommen, sie muss in Herz der Finsternis und den Konzern von innen heraus zerstören. Sie muss einen Job direkt auf dem Campus von Every bekommen. Denaleys ganzes Studium und ganze bisherige Arbeitskarriere war darauf ausgelegt, dass Every anbeist. Im übrigen erfahren wir Leser das Mea Holland schon länger CEO von Every ist. Für die einen eine Heilige, für andere das Böse. Für die meisten Everyjünger ist sie eine mystische Figur unnahbar. Die Mitarbeiter von Every nennen sich Everyones.

Der Bau

Über weite Strecken hinweg erzählt Eggers Beobachtungen aus unser Gegenwart. Zum Beispiel von den Touristenhotspots die völlig überlaufen sind, wie z.B. Venedig. Wir kennen die Bilder der Kreuzfahrtschiffe, die nur eine Armspanne entfernt am Markusplatz vorbei fahren. Wir kennen den Hang zum Selfie den viele Menschen heute haben, die Instagram-Hotspots. Die Trends der IceBucket-Challenge u.v.m.. Diese und andere Eigenarten der hochtechnisierten Gesellschaft der Gegenwart beschreibt er in Every.

Es war schon schwer die Qualitäten von Der Circle zu beschreiben, bei Every ist es meinem Gefühl nach, noch schwerer genau die Punkte auszumachen was das literarische herausragende an Every ist und den Roman lesenswert macht oder eben nicht. Vielleicht weil die Bezüge, die Eggers aufmacht, zur realen Welt nochmal stärker sind, als es in Der Circle schon der Fall war. – Firmen werden beim Namen genannt z.B. Nike, Huawai, Nestlé. Warum Eggers aber gerade die Firma Amazon mit Dschungel verklausoliert ist mir unklar. Gegnerische Länder werden nicht wie in Orwells 1984 als Ozeanien, Eurasien oder Ostasien abstrahiert sondern als China oder Russland konkret benannt. Bestimmte Personen scheint man wiederzuerkennen. Denaleys Mentorin Professor Aragawal z.B.. Sie kommt mir als ein Alter Ego von Shoshana Zuboff vor. Zuboff hat das herausragende Sachbuch The Age of Surveillance Capitalism (dt. Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, 2018) geschrieben – Ein International viel beachtetes Werk.

Viele Romane abstrahieren Phänomene der Gegenwart auf einer eindeutigen Metaebene, Eggers macht das oberflächlich gesehen genau nicht. Ich musste mir beim lesen immer wieder selbst vergegenwärtigen, - Es ist ein Roman – der nach Wirklichkeit aussieht. Aber nicht die Wirklichkeit ist –. Die Überwachung mit dem Argument der Sicherheit, der grüngewaschene Kapitalismus, die Vernichtung analoger Artefakte, das re­di­gie­ren von alten und neuen Büchern und ändern von Historie kennt man aus anderen dystopischen Werken.

Every will für die gesamte Menschheit natürlich nur das beste, deshalb all die Maßnahmen, denen man nicht entkommen kann. Seien es die psychologischen, ökonomischen oder sozialen Wirkmechanismen die vom Every ausgehen, jeder hat seine Schwächen und Every hat Geduld. Dabei ist der Konzern gnadenlos mit denen die Everys Macht einschränken wollen. Bananaskam ist ein Stichwort, Scham als Druckmittel. Flugscham als Begriff, den kennen wir aus unser Gegenwart. Denaleys Strategie Every zu zerstören wird schnell klar. Die Gesellschaft wachrütteln, in dem sie All jenen da draußen die Augen öffnet. Die müssen sich doch einmal Empören, denkt sie. Deshalb schlägt sie absurde Ideen und APPs vor. Einmal muss die Bevölkerung aufwachen, so ihre Hoffnung. Und tatsächlich Every greift alle ihre geäußerten Ideen mit Begeisterung auf, so abstrus Denaley sie auch findet. Dies passiert zahllos oft in dem Roman. Ohne zu viel zu verraten, ihre Taktik geht nicht auf. Die Bevölkerung erwacht nicht.

Every ist ein Versprechen und der Name Programm. Every lässt sich als Everyone zu deutsch Jedermann übersetzen. Die Welt von Every lässt sich entweder als Happy Place, Safe Space, oder als auch als Bedrohung auffassen, je nachdem auf welcher Seite man steht. – Wir kriegen euch alle. Die Everyones sind die Umkehrung von Homers Niemand. Niemand ist der Held Odysseus. Er ist willensstark, entscheidungsfreudig, selbständig und zieht mit seinen Kameraden und echten Freunden, abenteuerlustig durch unbekannte Welten, die Everyones sind genau das nicht.

Schon beim Der Circle warfen Literaturkritiker Eggers vor, dass das Buch eine flache Sprache habe und triviale Bilder gebrauche. Diese Kritik ist sicher auch bei Every angebracht, diesmal kommt von meiner Seite auch noch eine Kritik an der Erzählung selbst hinzu, denn Höhepunkte hat Every kaum. Gleichwohl der Grusel der sich schon beim lesen von Der Circle ausbreitete, bei Every mindestens genauso groß ist - wartet man immer auf ein Überraschungsmoment. Eggers baut Spannung auf bietet aber keine Erlösungsmomente. Ich vermute, das Eggers das genau so wollte. Spannung aufbauen, bis die geistige Spannkraft erschlafft. Die Struktur des Roman selbst, kann man auch als Analogie zum Erzählten verstehen. Die Heilsversprechungen die der Konzern in der digitalen und totalvernetzten Welt, die ganzen APPs etc., abgibt, haben kein Ende und führen zu nichts gutem, meistens gar zu Depressionen. Den Versprechungen steht am Ende eine Leere gegenüber. Der Technologiekonzern unter Leitung von Mea und ihrem zwielichtigen CTO - so viel wird klar, die Geschicke des Konzern leiten mit unmoralischen Methoden leiten.

Mit dem Smartphone wird jeder zum Blockwart. Eine App die dir sagt wie viel du schlafen sollst um Optimal fit zu sein, natürlich nach neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Deine alte Kate am Strand kannst du eintauschen gegen eine CO2-neutrale Neubauwohnung. Menschen werden abhängig gemacht von technischen Helferlein, Assistenzsystemen - bis sie am Ende unfähig sind eigenständige Entscheidungen zu treffen. Die Menschen auf dem Campus werden z.B. genötigt nach dem Toilettengang sich die Hände genau zwei Happy-Birthday-lang die Hände zu waschen, sonst geht die Tür nicht auf. Das ist die Welt von Every.

Jedenfalls verharrt mir die Erzählung zu lange auf einen zwar erregten aber langweiligen Erzählmodus von Geschichten – Eine Aneinanderreihung von kleinen Geschichten die für sich genommen eher banal sind. Irgendwann, so ging es mir, war ich ermüdet und dachte mir „da kommt nichts mehr“. Selbst Bombenanschläge auf Denaleys Wohneinheit oder das Kapitel mit den Obdachlosen-Communities konnten die Gleichgültigkeit die sich mir beim lesen einstellte nicht mehr aufheben. Einen echten Überraschungsmoment gibt es, aber der kommt erst ganz zum Schluss. (An dieser Stelle will ich nicht spoilern.) Ich gehe davon aus das Eggers diesen Ermüdungsprozess bewusst beim Lesen auslösen will. Die flache Sprache und scheinbaren Banalitäten sind gewollt. Das ist Stärke und Schwäche zugleich.

Und so bin irgendwie enttäuscht, das ich nicht überrascht wurde. Vielleicht kommt irgendwann ein dritter Teil. Denn mit so finsteren Aussichten kann uns Eggers doch nicht zurück lassen. Wo bleibt die Hoffnung? Oder sind die Letzten Tage der des Freien Willens wie der Roman im Untertitel heißt, schon gezählt?

Fazit

Die Handlung spielt überwiegend auf dem Campus von Every ab. Von daher kann man Every auch als Campusroman lesen. Nach 578 Seiten bleibt bei mir ein emotional ungutes Gefühl zurück. Die Inhalte, die dystopische Gesellschaft, die er Darstellt macht mir schlechte Laune. Eine nervöse, zittrige Spannung hat mich nach der Lektüre noch einige Zeit begleitet. Das ist doch ein Zeichen das Eggers mit Every, seine Wirkabsichten nicht verfehlt hat. Man kommt ins grübeln über die Digitalisierung unser Gegenwart und die smarte Macht die Technologiekonzerne auf uns ausüben, aber der große Wurf, dem ich einst dem Circle zu schrieb ist Every sicher nicht - weder inhaltlich noch literarisch.


Dave Eggers (* 12. März 1970 in Boston, Massachusetts) ist ein US-amerikanischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Herausgeber verschiedener Literaturzeitschriften. Er gilt als einer der einflussreichsten Schriftsteller der Gegenwart.
Wikipedia

Für die Buchbesprechung hat mir der Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

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Buchcover: Every
Autor: Dave Eggers,

aus dem Englischen von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel
Titel: Every
Seiten: 578
Verlag: Verlag Kiepenheuer & Witsch
VÖ-Jahr: 2021
Preis: 25,00 €